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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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Gábor nach, vielleicht in einer etwas einfacheren Form. Die Todesumstände von Torrington und den beiden anderen faszinierten ihn: Das Blei war durch den Verzehr schlecht gelöteter Konserven in ihren Organismus gelangt. Die Erfindung der Konserve war der Höhepunkt der damaligen Konservierungstechnik, sie stand für die Fürsorge der britischen Gesellschaft, die ihre Söhne auf die große Entdeckungsreise schickte: Sie vergiftete sie mit Produkten der Spitzentechnologie. So viel zum Thema
Fortschritt
, dachte Gábor schadenfroh. Und in dem erfrorenen jungen Gesicht entdeckte er nichts Geringeres als die Romantik. So viel zum Thema
Romantik
, dachte er mit noch größerer Schadenfreude. „Also, dieses Bild spiegelte, wie soll ich sagen …, die Absurdität der gesamten menschlichen Entwicklung wider!“
    „Was Sie nicht sagen“, sagte Patai am nächsten Tag. „Sie täten besser daran, mit dieser von Weltschmerz triefenden Idee Ihr Glück bei jungen Hühnern aus dem Gymnasium zu versuchen. Ihrem Kumpel, dem steht der Weltschmerz gut. Weil er wenigstens keinen Schwachsinn dazu faselt.“
    Das war ein erneuter Dolchstoß für Gábor. Kornél wurde in der Bibliothek ernst genommen, er nicht. Aus irgendeinem Grund sah man den Unterschied zwischen den beiden genau: Gábor
wusste von sich
, dass er früher oder später Filmregisseur werden würde (oder vielleicht doch eher Mathematiker), von Kornél
wussten jedoch alle
, dass er Filmregisseur war. Und das war ein großer Unterschied, auch wenn die weise alte Bibliothek, die schon viel gesehen hatte, im Grunde von beiden dachte, dass sie es nie zu etwas bringen würden.
    „Apropos, was gibt’s Neues in Sachen Engelmacher? Hat ihr Kumpel einen gefunden?“
    „Ich weiß es nicht.“
    „Lügen Sie nicht.“
    „Ich habe ihn seit mindestens einer Woche nicht gesehen. Er geht mir aus dem Weg!“, brüstete sich Gábor. „Ich glaube, er fürchtet sich vor meiner Meinung. Aber die wollte ich ihm gerade heute mitteilen.“
    „Über was Sie nicht alles verfügen. Sie haben also sogar eine Meinung. Na, dann sagen Sie sie ihm mal schön. Das kann ihm nicht schaden. Unser Freund Kornél ist ein bisschen verzogen. Oder ist Ihre Meinung für ihn etwa schmeichelhaft?“
    Gábor schüttelte entschieden den Kopf. Dann errötete er.
    „Na, dann schonen Sie ihn nicht.“
    Patai sah ihn mit spöttischer, nachdenklicher Miene an.
    „Sie sind mir verdächtig. Hören Sie zu: Wenn es doch so sein sollte, dass Sie Emőke geschwängert haben und mir seit Tagen hier etwas vormachen, scheuen Sie sich nicht. Der besagte Gynäkologe ist sprungbereit. Das habe ich Ihnen jedoch zum letzten Mal gesagt.“
    „Diese Unterstellung verbiete ich mir, Herr Patai.“
    „Es ist also Kornél, geben Sie es doch endlich zu.“
    Gábor presste die Lippen zusammen. Was bedeutete: Nun ja. Patai wusste es ohnehin. Er wurde jedoch immer röter, weil er Kornél nun im Grunde Patai ausgeliefert hatte. Patai bekam beinah Mitleid mit ihm.
    „Kein Problem, das nächste Mal wird er schneller sein“, sagte er und klopfte dabei auf Gábors Schulter. „Und dann könnten, statt einer weiteren Abtreibung, Sie der glückliche Vater sein. Oder vielleicht können Sie ja auch auf diesem Gebiet mit Ihrem Freund zusammenarbeiten.“
    Gábor sog Patais Worte begierig auf, jedoch nicht ohne Kritik. Er bemerkte zum Beispiel wieder einmal, dass sein Meister versuchte, Streit zwischen ihm und Kornél zu stiften. Das freute ihn zwar, da er so aus nächster Nähe zusehen konnte, wie ein Fachmann Streit stiftete, gleichzeitig hatte er aber auch Angst um seine Freundschaft zu Kornél, die in letzter Zeit ohnehin auf wackligen Beinen stand. Außerdem dachte er, Patais Bemerkung über die Zusammenarbeit beziehe sich auf die Gründung der Schattenregierung.
    „Herr Patai, wollen Sie mir nicht eventuell noch etwas sagen?“, fragte er außerordentlich ungeschickt.
    „Ihnen? Fällt mir nicht im Traum ein“, erwiderte Patai überrascht.
    „Äh … Dann habe ich mich wohl falsch ausgedrückt …“
    „Das ist wahrscheinlich.“
    „Ich meine … irgendeine Aufgabe … Kornél und ich könnten vielleicht heute Nachmittag endlich damit beginnen … Das war es nur, was ich sagen wollte.“
    Gábor war es nicht gewohnt, Patai gegenüber ein Thema anzuschneiden. Schon gar nicht ein so heikles wie die Schattenregierung. Natürlich glaubte er selbst nicht daran, dass man in der Bibliothek eine Schattenregierung gründen würde, aber er

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