Liebe Unbekannte (German Edition)
könne an die Auferstehung des Leibes glauben, kränkte ihn.
„Ich bin nicht gläubig, Herr Patai! Das verbiete ich mir“, sagte er stolz. „Ich weiß gar nicht, wie Sie darauf kommen. Vor dem Militärdienst habe ich im Krankenhaus in Kőbánya gearbeitet. Da habe ich den Prosektor kennengelernt, der hat mich einmal zu einer Sektion ins Leichenhaus mitgenommen.“
„Was für ein sentimentaler kleiner Ochse Sie sind, Gábor. Aber zum Leichenhaus möchte ich Ihnen aus tiefstem Herzen gratulieren.“
Gábor liebte es, wenn man so mit ihm redete. Patais spöttische, quäkende Art zu sprechen, faszinierte ihn. Am liebsten hätte er ihn mit
Meister
angesprochen, woran der eitle Patai nichts auszusetzen gehabt hätte, vor allem in jüngeren Jahren nicht, als er noch Grund zur Eitelkeit gehabt hatte. Jeder in der Bibliothek hasste Patai, und Gábor hielt man für seinen Speichellecker, darin bildete leider sogar Kornél keine Ausnahme, der sich sonst stets von der Meinung der anderen Bibliotheksmitarbeiter distanzierte. Patai wusste sehr wohl, dass man ihn in der Bibliothek hinter seinem Rücken
Mephistino
nannte.
„Und wenn Ihre Puppe aus Versehen tatsächlich schwanger sein sollte (so was kommt vor), dann kann ich Ihnen einen Gynäkologen empfehlen, nach dem Sie sich alle zehn Finger abschlecken und die Zehen noch dazu. Er hat mindestens zehntausend Embryonen auf dem Gewissen, ganz zu schweigen von allen anderen Morden. Aber er ist wirklich ein ausgezeichneter Fachmann, ein richtiger alter Metzger, also machen Sie sich nicht in die Hose, Sie und die kleine Dame werden mit ihm zufrieden sein.“
Gábor wusste nicht genau, was Patai mit diesen grässlichen Ausdrücken bezwecken wollte: Ob er vorhatte, ihn von der Abtreibung abzuschrecken oder tatsächlich so abgebrüht und zynisch war. Beide Möglichkeiten ließen sein Herz höher schlagen. Die eine hätte bedeutet, dass Patai ihn, Gábor Kender, vor etwas Schlimmem bewahren wollte, und die andere, dass es auch im zivilen Leben schlicht und einfach gemeine Menschen gab, und Patai zu diesen gehörte. Und wenn dem so war, dann hatte er, Gábor, die richtige Wahl getroffen: Denn nach genau so einem hatte er gesucht.
„Aber ich sagte Ihnen doch bereits, dass es sich um einen Freund von mir handelt. Nicht um mich.“
„Was springen Sie dann hier herum? Wenn unser Freund Kornél einen Gynäkologen braucht, wird er schon einen ausfindig machen.“
Gábor hatte sich wirklich nur so im Allgemeinen erkundigt, also Patai erzählt, dass ein Bekannter von ihm und dessen Freundin in einer schwierigen Lage seien. Patai wusste jedoch alles, das war klar. Und das war auch in Ordnung so, denn was hätte ihn zu Patai gemacht, wenn nicht, dass er immer alles wusste. Und Gábor spazierte brav ins Zeitschriftenarchiv zurück, um jede Spur von Sentimentalität in sich zu löschen. Da traf er Emőke Széles, die für das Zeitschriftenarchiv zuständig war, in derselben Haltung an, wie er sie eine Viertelstunde zuvor zurückgelassen hatte, als er zu Patai gegangen war, um diesen um Rat zu bitten: Sie saß, die Ellenbogen auf die Platte gestützt, an ihrem Tisch und starrte mit glasigem Blick in eine mattleuchtende Lampe. Gábor war sich sicher, dass das kein gutes Ende nehmen würde. Emőke Széles tat ihm unsäglich leid. Daher nahm er sich vor, nicht schonungsvoll mit ihr zu sein: Er würde sie in ihrem eigenen Interesse zur Abtreibung überreden. Um Kraft dafür zu sammeln, ließ er Emőke Széles den ganzen vergangenen Jahrgang der
National Geographic
heraussuchen, und in der März-Ausgabe fand er tatsächlich das Foto von John Torringtons Leiche. Er war zufrieden mit seinem Fund. Der Anblick entzückte ihn geradewegs, dabei war da noch keine Spur von einem Leichentuch aus Papier. Er sah sich die Leiche gemeinsam mit Emőke Széles an. Für eine Weile vergaß sogar Emőke Széles ihren großen Kummer und betrachtete voller Entsetzen die Fotografie. Genauer gesagt, betrachtete sie voller Entsetzen Gábor, der mit Begeisterung das Foto betrachtete. Dabei übertrieb er seine perverse Lust an dem Anblick ein wenig und machte dämliche Witze über den Toten, um Emőke Széles ein wenig aufzumuntern. Er verbrachte jede freie Minute mit ihr, so leid tat sie ihm.
John Torrington war, zusammen mit zwei weiteren Mannschaftsmitgliedern, in der ewig gefrorenen Erde der nordkanadischen Beechey Insel begraben worden, und dieses Grab wurde vor ungefähr zwei Jahren entdeckt. Es muss eine
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