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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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anzufangen.
    „Verstehst du das?“, fragte er Klárika, die bereits seit zwei Jahren tot war. „Was will ich von diesem Schwachkopf? Was hat er an mir gefressen?“
    „Früher hast du dich wenigstens nur mit Frauen beschäftigt“, sagte Klárika verächtlich.
    „Du bist eifersüchtig“, stellte Patai fest.
    Ein Wort ergab das andere, und wie immer gerieten der vor Einsamkeit allmählich dem Wahnsinn verfallene Patai und die seit zwei Jahren tote Klárika innerhalb von Sekunden in einen furchtbaren Streit. Und Klárika starb wieder. Da bemerkte Patai eine neue, überraschende Entwicklung. Nun fing er an – was für ihn selbst unerwartet kam – laut mit Gábor zu sprechen, der vor zwei Minuten den Raum verlassen hatte.
    „Aber mit den Frauen sollten Sie trotzdem aufpassen“, sagte er zu ihm. „Sonst ergeht es Ihnen, wie mir mit dieser Schlampe.“
    „Das geschieht dir ganz recht, du Schwein“, erwiderte Gábor.
    Patai antwortete nicht, er stand auf, ging ans Fenster und betrachtete die Elisabethbrücke.
    Gábor hatte von alledem keine Ahnung. Als er die Tür des Zimmers seines Meisters hinter sich geschlossen hatte, rannte er in den großen Lesesaal und lieh sich alles von Endre Olbach aus. Die Korvin Bibliothek war nämlich der Ort, wo man tatsächlich alles von ihm hatte. Und er zog Tante Gizella beiseite und fragte sie rasch aus. Mit hochrotem Kopf erklärte er ihr, er habe den
Aufstieg des Morgenlandes
gelesen, zumindest das, was man vom Originaltext übrig gelassen habe, denn er wisse auch, dass die wichtigsten Teile seit dem Krieg nicht hatten erscheinen dürfen, und er sei schon seit drei Wochen hier und habe sich die Urfassung immer noch nicht ausgeliehen, was ihm äußerst peinlich sei, und er bitte Tante Gizella, sie solle das nicht verbreiten. Diese versprach ihm, dieses furchtbare Geständnis diskret zu behandeln.
    „Übrigens verwendet man das Wort
verbreiten
, wenn man von Bazillen spricht“, bemerkte sie, da Gábor erzogen werden musste. Er ahnte, dass man ihn auf irgendeine alte, gesellschaftliche Verhaltensregel aufmerksam machen wollte, was ihn freute, denn er mochte es, erzogen zu werden. Tante Gizella hatte nicht viel Zeit zum Erzählen, dennoch erfuhr Gábor von ihr allerhand Beachtenswertes über die
Großen
. Er machte sich fleißig Notizen. Zum Schluss bedankte er sich für die nützlichen Informationen.
    „Und Sie können es ruhig verbreiten, ich bin da nicht so empfindlich“, sagte er zum Abschied großzügig.
    „Ich werde nichts verbreiten“, sagte Tante Gizella und winkte ab. Was bedeutete: Wenn Gábor ihr tief in die Augen geblickt und gesagt hätte
Ich bitte Sie, dieses Geständnis vertraulich zu behandeln
– wäre dies ein, wenn auch mit etwas galanter, männlicher Selbstironie vorgetragener, jedoch sachlicher Satz gewesen, das Wort
verbreiten
implizierte jedoch, dass Gábor sie zu bewerten wagte: Er hielt sie für ein altes Klatschmaul, worauf hinzudeuten, selbst, wenn es der Wirklichkeit entsprach, nicht besonders nett war. Gábor sagte ihre Geste lediglich, dass sie ihn für einen ungehobelten Kerl hielt, aber auch daraus lernte er eine Menge.
    Tante Gizella war kein Klatschmaul, aber da sie gerade darüber gesprochen hatten, erzählte sie Gábor über die Beerdigung von Tante Mara noch schnell das, was man sich in der Bibliothek darüber so erzählte. Und was sie gesehen hatte. Nicht mehr und nicht weniger. In einer Art kritischen Ausgabe. Mit ihren eigenen knappen Kommentaren.
    „Wissen Sie, mein Junge, bei Beerdigungen stellt sich meist etwas heraus. Bei fast jeder Beerdigung stellt sich etwas heraus, womit niemand gerechnet hätte. Diesmal war es auch so.“
    Sie erzählte, dass alle drei Olbach-Söhne zur Beerdigung nach Hause gekommen seien. Kálmán aus Livorno, Béla aus Innsbruck, beide mit Familie, und Iván aus Malmö, Schweden. Allein. Er sei seit seiner Emigration noch kein einziges Mal zu Besuch da gewesen. Vielleicht schäme er sich ja, dass nichts aus ihm geworden sei. Und bei der Beerdigung haben Iván und seine ehemalige Frau, Edit, dann nebeneinander gestanden.
    „Nun, bei einer Beerdigung schauen sich alle um, beobachten die anderen. Wer wie aussieht, wie viel jemand gealtert ist. Aber diesmal richteten sich alle Blicke auf Edit und Iván. Alle kannten sie noch von früher. Sie waren ein wunderschönes Paar, glauben Sie mir, wohin sie gingen, machten die Leute ihnen Platz. Aber seit mindestens fünfzehn Jahren hat sie keiner mehr gesehen.

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