Liebe Unbekannte (German Edition)
hatten sie nun ein Empfehlungsschreiben. Kornél und Emőke Széles müssten nur endlich diese blöde Abtreibung hinter sich bringen, dann würde sich sein Freund beruhigen, und sie könnten sich an die Arbeit machen.
Es war ohnehin schon sehr viel Zeit vergangen. Die elektronischen Uhren zeigten das Aussterben der Dynastie der Arpaden (13:01) an. Emőke Széles begann um diese Zeit zu arbeiten. Wenn nicht irgendetwas passiert war. Gábor rannte zu ihr ins Zeitschriftenarchiv. Er hatte sie nicht in die Bibliothek kommen sehen, dabei hatte er, als er auf dem Hof gestanden hatte, direkt darauf geachtet. Sie kam stets spätestens Viertel vor eins an, denn danach lief sie ja noch ins Lager, um zu weinen. Er machte sich große Sorgen um Emőke Széles.
Im hinteren Treppenhaus kam ihm Kornél entgegen. Seine Aktentasche war prall gefüllt. Sein Gesicht war düster.
„Was ist denn mit dir passiert?“, fragte er Gábor in herablassendem Ton. Dabei war Kornél unendlich verzweifelt und wollte nur den einen oder anderen Schlag an Gábor platzieren, bevor er ihn bitten würde, ihn zu retten, wenn es ihm möglich sei. Er solle heute bei ihm sein, ihn nicht allein lassen. Aber er spielte den starken Mann einfach zu gut.
Gábor machte es wütend, dass Kornél vom hohen Ross herab mit ihm sprach.
„Wo kommst du her?“, fragte er feindselig, mit immer noch klappernden Zähnen. „Warst du wenigstens bei Széles?“
„Hätte ich deiner Meinung nach bei ihr sein sollen?“, erwiderte Kornél lässig, wobei ihn diese Lässigkeit unheimlich viel Kraft kostete. „Zu ihr gehe ich auch, später.“
„Du weißt schon, dass mittlerweile die gesamte Bibliothek von euch spricht, oder?“
„Es interessiert mich nicht, wovon die Bibliothek spricht! Was mich interessiert, ist, warum du nicht den Mund halten konntest.“
„Du warst also bei
Ihm
“, sagte Gábor und verriet sich mit dem hörbaren Großbuchstaben.
„Ja, bei
Ihm
“, äffte Kornél seine Inbrunst nach.
„Und, hat er dir den Gynäkologen empfohlen?“
„Er hat mir keinen Gynäkologen empfohlen. Er hat mir nicht mal seinen Urologen empfohlen. Wieso hätte er mir irgendjemanden empfehlen sollen?“
„Das verstehe ich nicht“, sagte Gábor. „Glaubt er vielleicht doch, dass ich …?“
„Nein, er glaubt nicht, dass du“, sagte Kornél spöttisch, aber nervös. „Er weiß sehr wohl, dass ich. Da kannst du ganz beruhigt sein.“
„Aber warum hat er den Gynäkologen dann nicht dir empfohlen? Wieso mir? Das verstehe ich nicht.“
„Du hast es gut, wenn das das Einzige ist, was du nicht verstehst.“
„Ist ja gut“, sagte Gábor, mit Rücksicht auf Kornéls Lage nur leicht verärgert. „Und was will er dann eigentlich von dir?“
„Dass ich mich vor meinem Kumpel in Acht nehme, denn er sei ein Psychopath“, sagte Kornél, weil Gábor ihn aufregte und es ihm mittlerweile am liebsten gewesen wäre, wenn er Gábor richtig auf die Palme gebracht hätte, damit dieser ihn einfach stehen ließ. Allein zu sein, wäre ohnehin besser. Es war ein grässlicher Tag, Kornéls Selbstbild lag in Trümmern, bis jetzt war jedoch zumindest ein wenig Erhabenheit in ihm geblieben, und nun kam Gábor und zertrampelte ihm sogar diese. Er war jedoch auch auf sich selbst wütend, weil er seine Wut an Gábor ausließ.
„Vor mir?“, fragte Gábor leicht verunsichert. Es schmeichelte ihm, dass Patai ihn für einen Psychopathen hielt, aber er konnte es nicht ganz glauben.
„Vor dir“, sagte Kornél mit einem Seufzer. „Du hast innerhalb von drei Wochen erreicht, dass er diese Meinung von dir hat.“
In Gábors Gesicht erschien ein bescheidenes Lächeln.
„Das ist zumindest etwas, nicht?“, fragte er ein bisschen besänftigt und fasste Mut. „Kornél, du sprichst doch mit Széles? Du musst unbedingt mit ihr sprechen. Wir sind doch Männer.“
„Du kannst dir also tatsächlich vorstellen, dass ich nicht mit ihr gesprochen habe?“, sagte Kornél, machte dabei eine wütende Bewegung mit den Schultern, die ihm fast alle Kraft kostete, doch dann presste er noch einen völlig überflüssigen Vorwurf aus sich heraus. „Dann gratuliere ich dir nämlich zu deiner Empathie. Ich mache seit Wochen nichts anderes, als mit ihr zu reden. Wir haben uns den Mund fusselig geredet. Nicht einmal das hättest du mir zugetraut? Nicht einmal so viel Vertrauen hast du zu mir?“
Die letzte Frage bereute er sofort, denn Gábors aufrichtiger gute Wille, das Leben seines Freundes in
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