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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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gab fünf Minuten, in denen sich die wunderschöne, dicke Delfinform Ungarns vor 1918 darin abzeichnete (diese war angeblich von Dänemark aus mit entsprechender Ungarn-Nostalgie zu beobachten), kurz, in dieser Wolke war so ziemlich alles enthalten. Alles und auch das, was jenseits von allem ist: die
Wolkenkrankheit
. Jene seltene Krankheit, deren Überträger die Wolken sind, die jedoch für den Menschen eine Gefahr bedeutet. Die große Wolke zog nach Finnland, von dort nach Schweden und Deutschland, dann nach Frankreich und über die Gebiete südlich der Alpen und blieb ganz zum Schluss über Budapest stehen. Dann hing sie jedoch gleich tagelang über der Stadt und wiederholte einfältig ihre Schauer. Und das irgendwie immer zur ungünstigsten Zeit. Als wir dahinterkamen, was sich eigentlich über uns befand, waren wir bereits mindestens zweimal klatschnass geworden. Ich sogar öfter. Wir bekamen rote Pickel im Gesicht, an den Händen, am Hals, was uns an unsere Pubertät erinnerte und dadurch half, lachend den Schicksalsschlag zu ertragen, den nur ich als
Wolkenkrankheit
bezeichnete, die Nachrichtenagenturen hatten dafür einen anderen Namen.
    Denn der radioaktive Regen fiel damals eine ganze Woche lang.
    Im Grunde waren wir alle erleichtert. Es hatte sich herausgestellt, dass wir doch in einer geordneten, klaren und von Vernunft bestimmten Welt lebten. Wo Taten noch Konsequenzen hatten, und es genügte, unsere roten Punkte zu betrachten, um zu sehen, dass uns jemand gekniffen hatte, wir also nicht träumten. Gábor hatte in der Kaserne die Tage nach der Explosion des sowjetischen Atomkraftwerkes in Alarmbereitschaft verbracht und hätte einiges zu erzählen gehabt, aber das wäre nur eine kleine, leichte Geschichte gewesen, Kornél hatte seine Informationen jedoch (das sah man ihm an) aus einer bedeutenderen Quelle bezogen. Und diese Informationen würden sich wahrscheinlich auf die Nachwirkungen der Explosion des Atomkraftwerkes beziehen, worauf sonst. Auf das Ausmaß der radioaktiven Verseuchung. Gábor erwartete dieses Endurteil voller Ungeduld, dabei kam ihm jedoch plötzlich eine Vorahnung, und er unterbrach Kornéls Kunstpause. Damit kam er vom Thema des radioaktiven Regens ab, auf das sie dann auch nicht mehr zurückkamen, dabei hatte Kornél ausgehend davon geplant, Gábor schnell in die Ereignisse des letzten Jahres einzuweihen. Sein Freund sollte nicht von jemand anderem, sondern von ihm erfahren, dass er, Kornél, ein wenig (durch Kurierdienste, Artikel) mit der illegalen Presse in Berührung gekommen war. Gábor hatte jedoch diese Eingebung, er spürte, es würde etwas sehr Wichtiges folgen, und er wollte richtig reagieren, wodurch er verhinderte, dass sich Kornél ihm anvertraute. In Kenntnis der weiteren Ereignisse dachte dieser später, es sei am besten, wenn Gábor über so wenig wie möglich Bescheid wisse, und Gábor spürte, dass Kornél immer weniger Vertrauen zu ihm hatte, weshalb Gábor dann so wütend auf ihn war. Das, was zu dem Abend auf dem Löwenhof führte, begann also hier, im
Faktotum
.
    Dabei wollte Gábor nur schnell etwas fragen, bevor Kornél anlässlich des radioaktiven Regens das Jüngste Gericht verkündete.
    „Nur eine schnelle Frage von technischer Natur: Was ist mit Emőke?“
    „Ja, stimmt, das habe ich dir gar nicht mehr geschrieben“, sagte Kornél lustlos. „Sie ist zu ihrer Mutter gezogen. Um sie zu pflegen.“
    „Für immer?“, fragte Gábor teilnahmsvoll, weil er Kornél ansah, dass es der Fall war.
    Kornél nickte. Ihre Mutter sei ins Krankenhaus gekommen, wodurch Emőke vor Gewissensbissen fast wahnsinnig geworden wäre. Sie habe sich beinah mit Kornél geprügelt, sei dann gegangen und seitdem sprächen sie nicht mehr miteinander. Selbst in der Bibliothek liefen sie aneinander vorbei. Aber Emőke sei ja ohnehin verrückt, das sei vorher schon klar gewesen. Man könne ihr nicht helfen.
    „Aber es ist gar nicht so schlimm, es gefällt mir eigentlich ganz gut so allein. Würdest du eine Frau zurückhaben wollen, nachdem sie etwas mit einem Rockmusiker namens
Tabaki
hatte?“, fragte Kornél ruhig, da er die erste Welle der Verzweiflung bereits überwunden hatte. Von Emőke Széles’ Schwangerschaft wusste er noch nichts: Emőke sagte es ihm erst Tage später.
    So kam er auch bald aufs Wesentliche zu sprechen: auf die Korvin Bibliothek. Er zündete sich eine Zigarette an, nahm einen großen Schluck Bier, lächelte geheimnisvoll und begann zu erzählen.
    „Und

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