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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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engen Jeans. Die Ledersandalen samt dreckigen Fersen. Dass der Achtklässler Gábor für ein paar Tage von Zuhause verschwand, um irgendeiner Band hinterherzureisen. Sie ließen ihn nach Budapest in ein Wohnheim ziehen, von wo aus er nie wieder zu ihnen zurückzog. Gábor hatte ein seltsames Verhältnis zu seinen Eltern. In der Grundschule hatte man ihn wegen seines Nachnamens einige Male verprügelt, in den folgenden Jahren verprügelte dann er mehrere Jungen, die zu ihrem Pech zu spät auf die Idee gekommen waren, ihn zu verprügeln, denn inzwischen hatte sich das Blatt gewendet, und Gábor war stark wie ein Stier geworden. Er verteidigte seine Eltern, gleichzeitig wurde er sich zunehmend sicherer, dass der Name Kender nicht ohne Grund bei so vielen Menschen in der Gegend verhasst war. In Wirklichkeit liebte er sie, vor allem seine Mutter, aber vor Kornél, dessen betagte Eltern an irgendeiner gemeinsamen, exklusiven Krankheit litten und hin und wieder in der psychiatrischen Anstalt lebten, waren ihm seine doch eher einfachen Eltern peinlich.
    Kornél kannte übrigens auch Schurken, sogar mehrere, er wollte jedoch nicht weiter darauf eingehen und dadurch den gemeinsamen, glücklichen Augenblick kaputt machen.
    „Ist es jetzt gut?“, fragte Gábor nur zur Sicherheit, denn er wusste, dass es jetzt gut war.
    „Jetzt ist es gut“, erwiderte Kornél.
    Jetzt war es wirklich gut. Wie es auf dem
Fels der Idioten
gewesen war, und auch dort nur ein- oder zweimal. Jetzt war es aber vielleicht sogar noch besser. Es war, als würden sie ihre Freundschaft dort fortsetzen, wo sie abgebrochen war.
    „Dann bleibt uns nichts anderes übrig“, sagte Gábor, „als einen Kirschschnaps zu bestellen. Von der besten Sorte.“
    Gábor spielte darauf an, dass es lediglich eine Sorte Kirschschnaps gab. Er formulierte nur so umständlich, um Kornél zu zeigen, wie sehr sich sein Stil verbessert hatte. Kornél sprach weiter. Über die Bibliothek.
    „Die Bibliothek wird vielleicht mehrere unserer Lebensjahre beanspruchen, aber glaub mir, Gábor, es wird sich lohnen“, sagte er ernst. In einigen glänzenden Sätzen würdigte er die Korvin Bibliothek als letzte Bastion der ungarischen Kultur und weihte dann Gábor in den auch ihn betreffenden großen Plan ein, den dieser sich gespannt anhörte und rückwirkend als auch seinen anerkannte: Sie würden mit den
großen Alten
in der Bibliothek Videointerviews führen, und zwar zum Zweck der Bewahrung der Traditionen. „Denn sie sterben wie die Fliegen, mein lieber Gábor.“
    Das musste gar nicht weiter erläutert werden. Sie hatten einen gemeinsamen Wahlvater, den alten und bitteren tschechischen Schriftsteller Bohumil Hrabal, von dem sie gelernt hatten, dass Traditionen zu nichts anderem taugten, als dass man über sie weinte oder lachte. Das Bewahren von Traditionen war also von existenziellem Interesse.
    „Wir müssen mit allen sprechen, Gábor! Angefangen von der letzten Putzfrau bis hin zum Leiter. Es wird keine Ausnahme geben.“
    Kornél erzählte ihm auch, dass er Patai gegenüber bereits angedeutet hatte, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der Gábor Kender heiße, den Wehrdienst im Februar beende und ein talentierter, enthusiastischer junger Mann sei. Patai habe zugestimmt und sogar eine Kamera versprochen.
    „Und das ist es“, sagte Kornél noch ernster, „wo wir am meisten werden aufpassen müssen. Denn die Kamera hat er zum Beispiel von sich aus angeboten. Ich meine Patai.“
    „Umso besser, nicht?“, sagte Gábor, denn (als alten und treuen Patai-Anhänger) beunruhigte ihn Kornéls aufkeimendes Misstrauen dem Meister gegenüber. „So musstest du ihn wenigstens nicht darum bitten.“
    „Das meine ich ja gerade! Ich musste ihn allzu wenig darum bitten. Überhaupt nicht. Na, hör zu, Gábor, die Wahrheit ist, dass er selbst mit der ganzen Interview-Idee daherkam. Und ich finde es ein bisschen verdächtig, dass er einen paarundzwanzig Jahre alten Niemand dazu überreden will, es zu machen. Wieso nicht einen erfahrenen, alten Hasen aus der Bibliothek? Offenbar, weil es niemand machen will. Also, wenn du mich fragst, ist die Sache nicht ganz legal. Oder zu legal … Und deshalb werden wir aufpassen müssen.“
    Kornél senkte die Stimme.
    „Denn ich will nicht der Staatssicherheit Material liefern.“
    In Gábors Ohren klang das Wort
Staatssicherheit
aufgrund seines Elternhauses ganz anders als in denen Kornéls, dennoch hätte auch er der Staatssicherheit kein Material

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