Liebe Unbekannte (German Edition)
im radioaktiven Regen kennengelernt“, heulte er. „Sie haben es fertiggebracht, dort! Das ist doch gemein. Im radioaktiven Regen! Das gibt es nicht. Das gibt es einfach nicht. Das wirst du mir gar nicht glauben. Kann man ja auch nicht … Ausgerechnet im radioaktiven Regen …“
Er weinte tatsächlich. Das Gesicht verbarg er in den Händen. Ich musste einsehen, dass der Tag für diesen Menschen gelaufen war: Er war sternhagelvoll. Am Ende würde er mir bis Nyék noch in Ohnmacht fallen! Würde ich ihn überhaupt tragen können? Auf jeden Fall erregten wir keine Aufmerksamkeit. Für die wenigen Passagiere gehörte ein weinender Betrunkener ebenso selbstverständlich dazu, wenn man einen Zug am späten Abend nahm, wie das aus dem Heim getürmte, schnarchende Mädchen (apropos, Móni aus dem Heim würde ich in Ober-Nyék auch wecken müssen, sonst würde sie am Ende noch im Zug bleiben), nur ich hatte ein Problem.
Jetzt war ich der Herr der Lage.
„Was war mit dem radioaktiven Regen?“
„Nichts, nichts, nur … alles! Im Regen haben sie sich kennengelernt. Verstehst du, mitten im größten radioaktiven Regen! Im Herzen des Regens. Kornél und diese Frau. Die Freundin von Széles. Wie kann man nur, sogar in einem radioaktiven Regen noch so … so schön … Das ist einfach nicht auszuhalten!“
Er schluchzte wieder. Ob ich seinen Kopf streicheln sollte?
„Trink nicht mehr.“
Er nickte, trank und erzählte.
„Erinnerst du dich an diese Regenfälle? Weißt du noch, wie sehr es damals geregnet hat? Cäsium 134, Cäsium 137, Jod 131 … vom Strontium 90 ganz zu schweigen … und da gäbe es noch einiges aufzuzählen. Weshalb wir innerhalb der nächsten zwanzig Jahre krepieren werden … du auch, ich auch, alle.“
„Das ist nicht sicher“, sagte ich, denn es kursierten auch zurückhaltendere Nachrichten über das Ausmaß der Strahlenvergiftung.
Er trank wieder.
„Sollen doch alle krepieren. Und nun, wo endlich alle krepieren, kommen die beiden und kriegen roten Ausschlag vom radioaktiven Regen, weil sie so lange draußen herumgelaufen sind. Die Frau, deren Namen Kornél nicht verrät, lief allein herum und Kornél ebenfalls. Denn sie kannten sich ja noch gar nicht … Nur wegen Emőke … ein bisschen. Durch sie. Und die beiden mussten unbedingt in jedem radioaktiven Regen herumlaufen, der nur fiel! Denn beide gehören zu der Sorte Mensch. Die in solchen Momenten herumläuft. Und nach dem ersten Regen bekamen sie den roten Ausschlag im Gesicht. Na und, was ist schon dabei, wirst du jetzt sagen, weil du eine naive Seele bist. Du hast bestimmt keinen roten Ausschlag bekommen, und ich habe ihn auch nur deshalb bekommen, weil ich in Tapolca in den Regen gekommen bin, sechs Stunden haben sie uns im radioaktiven Regen stehen gelassen, aber wen interessiert das schon? Wen interessiert der rote Ausschlag, wenn die Welt gerade untergeht? Ein normaler Mensch stört sich da an keinerlei Ausschlag. Aber mein Freund ist da eine Ausnahme, er darf einfach keine roten Punkte im Gesicht haben. Weil das hässlich ist! Verstehst du? Hässlich! Und trotzdem lief er im radioaktiven Regen herum, zählte seine roten Punkte, konnte das Herumlaufen aber nicht lassen … Er verbrachte also die ganze Zeit, in der der verdammte radioaktive Regen fiel, auf der Straße, wobei ihm als Privatperson natürlich peinlich war, die ganze Fresse voller roter Punkte zu haben, weil er nämlich ein eitler Idiot ist!“ Er trank. „Aber er muss eben, bevor er beginnt, ein Prophet zu sein, einfach alles gesehen haben! Eines Tages wird er damit beginnen, du wirst schon sehen …“ Er trank. „Und mein wahnsinniger Freund lief durch den radioaktiven Regen, und beobachtete die Gesichter der Menschen in den Autos und den Läden und überall, er wollte wissen, ob man ihnen ansah, dass sie krepieren würden, und er lief so lange, bis diese Frau ihm entgegenkam, die auch unbedingt im radioaktiven Regen herumspazieren musste … Und diese Frau hatte das Gesicht ebenfalls voll von roten Punkten. Und ihr waren diese Punkte auch peinlich, was denkst du … denn sie war auch schön wie eine Türkentaube … sonst hätte es diese Geschichte gar nicht gegeben … wenn zum Beispiel einer der beiden hässlich gewesen wäre … Wenn nämlich einer von beiden, sagen wir, hässlich gewesen wäre, wären sie aneinander vorbei gegangen, wobei sie einander über Emőke schon kannten, denn in dieser bescheuerten Stadt kennt jeder jeden von irgendwoher. Und ein
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