Liebe Unbekannte (German Edition)
bisschen kannten sie sich auch schon von vorher … nur weiß ich nicht … Aber sie wären trotzdem aneinander vorbeigegangen oder hätten sich wegen Emőke gegrüßt und das wär’s gewesen … Aber so sahen beide, dass der andere sich für seinen roten Ausschlag schämte, und weißt du, was sie da machten? Sie sahen einander in die Augen und lachten. Tamás! Kannst du dir diese Szene vorstellen?! Sie stehen da, diese beiden wunderschönen Menschen, das ist mein Ernst, Kornél ist nämlich auch wunderschön, und diese Frau sieht aus wie eine Türkentaube, falls du verstehst, was ich meine …“
„Nein!“, sagte ich. Ich war sehr wütend auf Gábor. Er würde gleich umkippen. Was sollte ich dann mit ihm machen? Ich könnte ihn nicht halten.
Jetzt, da es wirklich um Emma ging, dachte ich nicht an sie. Weshalb hätte ich auch? Ich kannte ihr Erwachsenengesicht nicht, wusste nicht, dass ihre Augen nun noch ein bisschen mehr auseinander lagen, als auf den Kindheitsfotos.
„Weil du keine Fantasie hast! Das macht nichts, wir werden schon eine für dich basteln. Gut? Wird es dann besser sein? Wir basteln alles zurecht für dich … Du bekommst von uns die komplette Ausrüstung … Weißt du, warum? Weil man dir ansieht, dass du genauso ein großes Rindvieh bist wie mein Freund. Mein ehemaliger Freund! Und wie ich. Wie mein ehemaliger Freund und ich.“
„Was das betrifft“, bemerkte ich etwas kleinlich, aber der Wahrheit entsprechend, „hatte ich damals auch eine Menge roter Punkte.“
Damals war ich nämlich auch im radioaktiven Regen herumgelaufen. Tagsüber war ich natürlich im Lager oder transportierte Bücher ins Depot in Bokros, aber zwei ganze Nachmittage lang spazierte ich durch den Regen und beobachtete die Menschen. Und das Ende der Welt. Aber mir kam niemand entgegen. Gábor hatte Schluckauf bekommen.
„Weil du auch ein heil… hicks … ein heillos sentimentaler kleiner Ochse bist. Aber es geht jetzt nicht um dich. Auch nicht um mich. Sondern um sie. Das Traumpaar. Um meinen Freund und die Türkentaube. Selbst ich habe sie bisher nur einmal zusammen gesehen, dabei bin ich angeblich sein bester Freund. Und sie haben gelitten! Denn die Taube hat irgendeinen Freund oder Mann, und Kornél hat es auch nicht richtig geschafft, Széles zu verlassen, nicht einmal wegen der Taube. Und das ist auch in Ordnung so. Und schön. Das Problem ist nur, dass Kornél und ich von jetzt an nicht mehr miteinander reden, weil es ausgesprochen wurde … und daran halten wir uns auch … Und sie halten sich auch daran. Denn zwischen ihnen ist das Ganze geheim und … as… asexuell … oder was weiß ich …“
Gábor schüttelte den Kopf. Er kämpfte wieder gegen die Tränen an.
„Das Problem an allem ist“, murmelte er sachlich, „dass mich niemand haben will.“
Dann schlief er ein.
Und ich stand da, in vollem Bewusstsein meiner Verantwortung, vor mir türmten sich schwere Aufgaben, die zu lösen ich sehr wohl imstande war, ich war der Herr der Lage. Und glücklich.
15.
EIN SCHLUCK WODKA
So kam Gábor in die Panoráma Straße. Gerda und ich hatten ihn zu zweit nach Hause getragen. Meine Befürchtungen bezüglich der Reaktion meiner Familie bestätigten sich nicht. Mutter hatte ein sehr realistisches Bild von den Jugendjahren eines Mannes, für das sie sich jedoch schämte, weshalb sie mir nie davon erzählte. Dabei hätte sie gut daran getan, dann hätte nämlich ich mich seltener geschämt. Dieses Bild schloss nicht aus, dass ein junger Mann auf allen vieren nach Hause kam, sich im Bett übergab oder mit einer in schlechter Ehe lebenden Frau ein Verhältnis anfing. Mutter wusste von mehreren ihrer Kolleginnen, dass sie in einer schlechten Ehe lebten, von ihrem Mann betrogen und geschlagen wurden, diese Frauen waren auch nicht hässlich, und manche von ihnen hatten Mutter gegenüber erwähnt, was für ein hübscher Junge ich geworden sei und sich erkundigt, ob ich denn schon eine Freundin hätte. Und wohin ich aus Nyék verschwunden sei, ob ich vielleicht an die Hochschule zurückgegangen sei. (Vor der Bibliothek hatte auch ich ein Jahr in der Förderschule in Nyék gearbeitet.) Wenn Mutter ein bisschen locker gewesen wäre, hätte sie mich heimlich mit einer dieser Kolleginnen verkuppelt. Sie war jedoch kein bisschen locker, und diese Idee verheimlichte sie mir, ihren Kolleginnen und überhaupt der ganzen Welt. Sie dachte, auf so einen Blödsinn könne auch nur sie kommen. Das Einzige, was sie manchmal
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