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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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begleichen hatte, er würde es jedoch schnell hinter sich bringen wollen. Ihr Brief war von Anfang bis Ende ehrlich gewesen, mit einer kleinen Ausnahme: Emma war keineswegs nur dieses unsichere Mädchen, als das sie sich vorgestellt hatte, denn sie verfügte auch über ein anderes Ich, nämlich dieses gewisse unwiderstehliche. Patai würde sie aufgrund des Briefes für einen einfachen Fall halten, mit überlegener Miene hier antanzen und glauben, diese nette kleine Gans, die den Brief geschrieben hatte, beiläufig belehren zu können. Er würde jedoch schnell einsehen müssen, dass er nur zwei Möglichkeiten hatte: Emma entweder als gleichrangig zu akzeptieren oder es würde überhaupt nichts passieren. Er würde gezwungen sein einzusehen, dass es zu einem Rollentausch gekommen war: Emma war nun die Starke und er, Patai, würde sich die letzte Chance seines Lebens, dass so eine Frau überhaupt bereit war, ein Wort mit ihm zu wechseln, nicht entgehen lassen können. Und wenn er sich für eine andere Taktik entscheiden und zum Beispiel eine abfällige Bemerkung über das
Etwas
machen würde, würde Emma ihn einfach auslachen: Er habe ja recht, na und? Habe sie denn im Brief nicht schon geschrieben, dass sie keine Künstlerin mehr werden wolle? Daraufhin würde Patai mit hämischem Grinsen fragen, „Hältst du mich für völlig blöd, Kleines?“, oder etwas in der Art. Und spätestens an diesem Punkt würde das Eis zwischen ihnen brechen, und sie würden anfangen, sich zu unterhalten. Genauer gesagt würde Emma erzählen. Sie würde Patai über die wichtigsten Ereignisse der letzten Jahre berichten, natürlich nur in groben Zügen, man musste ihn ja nicht gleich mit allem zuschütten. Aber manches musste er einfach erfahren, und das konnte der alte Schweinehund auch ruhig aushalten: Nach all dem, was passiert war, war es das Mindeste, dass er sich schweigend anhörte, was sie ihm zu erzählen hatte. So viel Genugtuung hatte Emma verdient und mehr wollte sie ja gar nicht. Natürlich würde Patai sich zuerst wundern, es wäre, als würde Emma ihm sämtliche Zeugnisse der letzten Jahre unter die Nase halten, damit er diese unterschrieb. Doch danach würde er ihr Ratschläge erteilen, schön zynische, versteht sich.
    „Hör zu, Emma. Ich weiß nicht, woher du die unverfrorene Dreistigkeit nimmst, dich gegen den Willen des Allmächtigen überhaupt mit so einem Niemand, wie es dieser Psychiater ist, abzugeben, während allein der Nagel deines kleinen Fingers mehr wert ist als dieser Kerl, aber mich interessiert das auch gar nicht. Das musst du dann mit dem Herrscher des Himmels klären. Mich geht das überhaupt nichts an, denn dich hat ja nicht Er meiner Obhut überlassen, sondern jemand ganz anderes. Und wenn du mir hier auf den falschen Weg gerätst, werde ich da unten zur Rechenschaft gezogen, sobald ich die Hufe hochreiße und das möchte ich unbedingt vermeiden. Der Alte kann ausgesprochen unangenehm werden, wenn er sauer auf jemanden ist. Es gibt da unten ein paar Kessel, die ich auf keinen Fall ausprobieren möchte. Er hat viel in dich investiert, mein Herzblatt, also sei so nett, ergreife Stift und Papier und fang endlich an, diesen Mist zu verfassen, und zwar in Windeseile, mach mir keine Schande!“
    Oder irgendetwas in der Art. Mit „Mist“ wäre Emmas Roman gemeint.
    Sie wartete insgesamt viereinhalb Stunden auf Patai. Zum Schluss fror sie schon gar nicht mehr. Damit, dass er einfach nicht kommen würde, hatte sie wirklich nicht gerechnet, nach einer halben Stunde wusste sie es jedoch. Die restliche Zeit brauchte sie nur, um es auch mehr oder weniger glauben und irgendwann nach Hause gehen zu können. Nach Mitternacht wurde sie überraschend ruhig. Ja, sogar fröhlich. So eine Niederlage! Und Patai war einfach nicht gekommen, weil er Angst hatte. Angst vor ihr. Offenbar hatte er sich nicht getraut, ihr in die Augen zu sehen. Was kein Wunder war, denn Emma wusste noch von ihren Großeltern, dass Patai der feigste Mensch der Welt war. Sie warf die Decke ins Auto, in die sie sich in den letzten zwei Stunden gehüllt hatte. Sie hasste Patai ein bisschen, war jedoch fröhlich und frei.
    Sie bekam Lust auf einen Spaziergang.
    Auf der Budakeszi Straße war schon lange kein Verkehr mehr, als Emma jedoch über den Zebrastreifen gehen wollte, kamen gleich drei Autos aus Richtung Budakeszi. Nachdem sie auf den geraden Teil der Straße eingebogen waren, kam es Emma vor, als hätten ihr alle drei mit den Scheinwerfern

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