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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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davor zu stehen. Das war die turbulenteste Zeit in Emmas Leben, die sie in ihrer Erinnerung als eine glückliche behielt.
    „Man sieht es dir an. Du kannst nicht lügen.“
    „Gib mir drei Tage. In der Zeit mache ich mit ihm Schluss.“
    „Das wird furchtbar, aber ich werde es aushalten“, sagte der junge namenlose Psychiater, nach dem die Frauen einen unglaublichen Schmacht hatten. „Aber du wirst nicht mit ihm Schluss machen. Ich kenne dich schon.“
    „Doch, werde ich.“
    „Nein, wirst du nicht.“
    „Doch, werde ich!“
    „A, a“, sagte der junge namenlose Psychiater kopfschüttelnd und grinste. „Wirst du nicht. Ich kenne dich.“
    „Doch, werde ich“, sagte Emma trotzig, da sie sich in ihre Lüge hineingesteigert hatte. So kam es, dass sie sich lachend für drei Tage voneinander verabschiedeten.
    Emma ging aus dem Lukács Bad nach Hause und schrieb einen Brief. Sie wurde blitzschnell damit fertig, zumindest dafür, dass es sich um einen recht umfangreichen Text handelte, brachte ihn noch am gleichen Tag zu dem Adressaten auf den Sváb-Berg und warf ihn in dessen Briefkasten.
    Lieber Herr Patai
,
    Vor einigen Jahren schickte ich Ihnen in pubertärem Übermut ein paar furchtbare Gedichte von mir. Ich möchte mich nachträglich dafür entschuldigen und mich bei Ihnen bedanken, dass Sie mir Ihre Meinung dazu schrieben. Später schickte ich Ihnen noch einen Brief (dieser geriet ein wenig frech, wofür ich mich ebenfalls entschuldigen möchte) ohne Gedichte. Dieses Etwas, das ich Ihnen jetzt schicke, gab es jedoch bereits schon damals. Ich hatte es in der Nacht geschrieben, bevor ich Ihnen den Brief schickte. Eigentlich schrieb ich es gar nicht selbst, ich schrieb es nur nieder. Ein wenig platt ausgedrückt, könnte man sagen, es war, als hätte es mir jemand diktiert. Ich traute mich jedoch damals nicht, es Ihnen zu schicken, da ich Angst vor Ihrer Kritik hatte
.
    Aber jetzt schicke ich es Ihnen
.
    Es ist in dem gleichen Zustand wie damals, als es mir „diktiert“ wurde. Ich habe mich nicht getraut, etwas daran zu ändern. Jetzt schicke ich es Ihnen aber gar nicht mehr, damit Sie es als Gedicht bewerten. Ich habe bereits eingesehen, dass ich keine Künstlerin bin, da ich insgesamt sechzehn Ideen habe (sie stehen durchnummeriert in einem Heft) und das ist zu wenig. Das weiß ich selbst. Ich möchte Sie um etwas anderes bitten, wenn möglich
.
    Ich möchte die Katze gleich zu Beginn aus dem Sack lassen: Dieser gewisse Waldspaziergang (der am 21. August 1969, ungefähr in der Zeit zwischen Nachmittag halb vier und zehn Uhr abends stattgefunden hat) gehört zu den prägenden Erlebnissen meines Lebens. Sie erinnern sich vielleicht gar nicht mehr daran. Er war für mich wichtig. Jahrelang dachte ich, er wäre für mich nicht so wichtig gewesen, doch dann kam dieses Gedicht (fiel aus dem Himmel, direkt in mein Heft) und plötzlich war alles wieder da. Und seitdem lässt es mir keine Ruhe. Und jetzt möchte ich von Ihnen erfahren, weshalb Sie damals zu mir gesagt haben, dass dieser Mördermönch in mich geschlüpft sei! (Namentlich Pryzk.) Gab es etwas an mir, das darauf hindeutete? Ich bin kein Mördermönch. Ich bin eine Frau. Kein Mann, kein Mörder, kein Mönch!
    Ich habe das Gefühl, dass seit dem Tag ein Mann in mir lebt. Sie haben ihn in meinen Kopf gepflanzt. Und ich würde ihn gerne loswerden. Ich möchte kein Mann sein, denn ich bin eine Frau. Nur eine Frau!
    Ich habe eine Großmutter, die daran, dass sie kein Mann sein konnte, halb wahnsinnig geworden ist. Und ich habe eine Mutter, die Alkoholikerin geworden ist, weil es keine richtigen Männer mehr gibt. Ich möchte nicht verrückt werden! Und ich möchte endlich wissen, wie ich wäre, wenn kein Mann in meinem Kopf sitzen würde! (Der zudem auch noch ein Mördermönch ist, aber egal.) Wäre ich dann genauso? Das müsste ich erfahren
.
    Ich wohne mit meiner Mutter in der Tűzoltó Straße. Ich habe ein kleines Zimmer, darin tausendfünfhundert eigene Bücher, die ich in Antiquariaten zusammengekauft habe. Sie nehmen so gut wie allen Platz ein. Ich studiere Jura. Lebe ein völlig normales Leben. Ich bin etwas hochmütig (oder sehr), vielleicht hat man mich in der Schule deshalb nicht gemocht. Das weiß ich jedoch nicht. Ich weiß nichts
.
    Wenn man einen Mördermönch im Kopf sitzen hat, kann man ihm für alles die Schuld geben: Ach, das bin ich ja gar nicht, das ist er! Pryzk! Genauer gesagt das hässliche Trauma, das ich hatte. Dabei kann es ja

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