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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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hielt. Dafür hatte ich Verständnis, dennoch hatte ich es bereut, mitgekommen zu sein. Er brauchte mich überhaupt nicht. Am Tag zuvor war ich ihm noch eine Hilfe gewesen, jetzt nicht mehr. Ich war nur noch ein Ballast für ihn. Aber nun würde ich nicht mehr umkehren, obgleich das vielleicht das Beste wäre.
    Als wir in der Haltestelle des Busses der Linie 78 ankamen, klappte er das Buch zu und sagte:
    „Du bist ein richtiger Glückspilz!“
    „Wie bitte?“
    Er beugte sich zu meinem Ohr und brüllte.
    „Glückspilz! Glücklicher Esel!“
    Mehrere Menschen in unserer Nähe blickten erschrocken auf.
    „Ich verlange eine Erklärung!“, sagte ich grimmig lachend, denn „glücklich“ nannte man schließlich nur einfältige Menschen. Ich wusste, dass jetzt etwas in der Art kommen würde wie, ich sei ein einfacher, gutmütiger Trottel.
    „Verzeih, ich wollte dich nicht beleidigen. Du bist unglücklich.“
    Er schlug das Buch wieder auf. Aber ich ließ mich nicht so leicht abwimmeln.
    „Gábor! Warum bin ich glücklich?“
    „Unter eurem Haus fließt ein unterirdischer Fluss. Ein Warmwasserfluss, zumindest nach Ansicht des Autors.“
    Dass irgendwo in der Nähe unseres Hauses ein unterirdischer Bach verlief, hatte auch Vater schon einmal gesagt. Man erzählte sich das in Nyék. Es wurde vermutet, dass vielleicht deshalb so viele Bewohner der Panoráma Straße an Krebs starben.
    „Deshalb bin ich glücklich?“
    „Du bist glücklich, weil“, sagte Gábor, als wir bereits im Bus saßen, hier folgte eine ausführliche Inhaltsangabe des Buches, die wohl irgendwann in eine Konklusion hätte münden sollen (die die Aussage, ich sei glücklich, begründet hätte), die ich jedoch niemals erfuhr, da wir ankamen, noch bevor Gábor zu Ende gesprochen hatte. „Beginnen wir damit, dass der Burgberg genauso entstanden ist, wie der Hügel, auf dem euer Haus steht, nur eben eine erdgeschichtliche Unterepoche eher. Beide wurden von der Donau geformt, wie das jedes Kind weiß. Dies ist auf der nebenstehenden Abbildung gut zu beobachten.“
    Wir fuhren gerade über die Elisabethbrücke. Gábor deutete auf den Burgberg. Das war die nebenstehende Abbildung.
    „Es ist, als würde ein Tier aus der Donau trinken“, sagte ich und verstand beinah, weshalb mich Gábor für einen glücklichen Esel hielt.
    Zuerst war er verdutzt.
    „Stimmt! Du hast Fantasie.“
    „Das hat meine Mutter gesagt.“
    „Trotzdem.“
    Dann fuhr er mit seinem Vortrag über in der Umgebung von Buda verlaufende unterirdische Gewässer fort und hörte erst auf, als wir im Kopf des aus der Donau trinkenden Tieres, dem königlichen Palast, angekommen waren.
    Wo seit dem Morgen Ungewissheit über den Bibliotheksball herrschte. Würde der in der ganzen Stadt bekannte Nikolaustagsball der Bibliothek an diesem Abend stattfinden? Würde die Veranstaltung erlaubt oder verboten werden? Das fragten sich alle in der Bibliothek, Bibliothekare und Leser, die Leute hinter dem Tresen der Cafeteria und in den Forschungszimmern. Die Frage beschäftigte wirklich alle. Nicht nur die feierlustige Jugend, auch die Älteren, die aus der – auf den ersten Blick nebensächlichen – Entscheidung, ob der Ball genehmigt oder verboten würde, den Stand der Machtkämpfe innerhalb der kommunistischen Regierungspartei herauszulesen wähnten. Jetzt wusste jedoch niemand etwas Sicheres. Mangels Informationen suchte die gesamte Bibliothek nach Vorzeichen.
    Und Vorzeichen gab es reichlich. Aus diesen konnte man sowohl darauf schließen, dass er stattfinden würde als auch darauf, dass er nicht stattfinden würde.
    Am Vormittag war zum Beispiel die Lautsprecheranlage kaputtgegangen, weshalb die schönste Bibliotheksstimme, die von Marcsi Áron, der stellvertretenden Audiotheksleiterin, über eine halbe Stunde versuchte, die Leser vom Zweck ihres Kommens abzubringen.
    Bitte, beenden Sie die Lektüre.
Bitte, beenden Sie die Lektüre.
Bitte, beenden Sie die Lektüre
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    Dabei waren es noch sieben volle Stunden bis die Bibliothek, an diesem Tag wegen des Balls bereits um halb sieben, schließen sollte. Die Uhren der Bibliothek zeigten das Entstehungsjahr des ersten ungarischsprachigen Schriftstücks: der Gründungsurkunde der Abtei von Tihany (10:55). Die Bibliotheksbesucher warfen sich fröhliche Blicke zu und schwärmten erleichtert aus den Lesesälen in die Cafeteria: In diesem Lärm zu lesen war einfach unmöglich! Sogar Graf Frigyes Eédes wachte auf, als er jedoch sah, dass es noch hell

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