Liebe Unbekannte (German Edition)
Erika mit dem Motorrad abholen wollte, um sie in die Disco mitzunehmen, machte Vater ihn darauf aufmerksam, dass Erika nicht allein gehen dürfe, und Vadda das eigentlich von sich aus hätte wissen müssen, woraufhin ihm dieser mit einem verlegenen Nicken zustimmte. Sie sollten Gerda mitnehmen und folglich nicht mit dem Motorrad fahren. Mit dem Auto sollten sie fahren. Und um halb zehn sollten sie zu Hause sein. Das waren Vaters Spielregeln.
„Ach, Vater, du weißt, dass Gerda sowieso nicht mitkommt“, sagte Erika, die nicht genau wusste, ob sie mit Vadda mitgehen wollte. „Soll doch Tomi mitkommen.“
„Ich?!“, fragte ich entsetzt. „Ach, nö. Ich muss lernen“, wandte ich mich an Vater.
„Mir ist es egal, wer von euch beiden mitgeht, aber einer von euch muss mit. Sonst bleibt Erika zu Hause.“
Phlegmatisch stand Vadda vor Vater. Er hoffte, Erika würde die Situation irgendwie lösen, aber darauf wartete er vergeblich: Sie war wie versteinert. Den weiteren Verlauf der Dinge überließ sie voll und ganz Vadda.
„Herr Krizsán, ich habe nichts getrunken, das will ich nur bemerkt haben.“
„Tibi, ich bin gar nicht auf die Idee gekommen. Aber wenn du es schon einmal angesprochen hast … Würdest du mir den Gefallen tun und mich anhauchen?“
Vadda hauchte Vater anstandslos ins Gesicht. Ich wagte kaum, Erika anzusehen. Ihr Gesicht glühte. Meines ebenfalls. Wir schämten uns für Vater. Ich wusste genau, was geschehen würde, wenn Vadda durchs Gartentor trat. „Dieser verdammte Schwanzlutscher, der soll sich doch ins Knie ficken“, würde er zu seinen Motorradkumpeln, die draußen auf ihn warteten, sagen. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass das geschehen würde, denn ich wusste damals bereits, dass die Menschen so sprachen, ja, sogar so dachten. Als ich jünger war, hegte ich noch Hoffnungen, es sei nicht so, aber zu dieser Zeit – ich war in der siebenten Klasse, aber erst mit sieben Jahren eingeschult worden – war ich mir darüber im Klaren, dass dieser Ton heutzutage überall gang und gäbe war. Und ich war mir auch beinah sicher, dass Vater nichts von diesen Schimpfwörtern wusste. Zumindest nichts von diesen neueren, wie
Schwanzlutscher
oder
ficken
. Bei uns zu Hause gab es das nicht. Das stärkste Schimpfwort, das er verwendete, war „Armleuchter“. Dabei musste man zwar natürlich an etwas anderes als einen Kandelaber denken, aber eigentlich war es ja ein schönes Wort. Ich schämte mich also, dass Vater so außerhalb der realen Welt stand, gleichzeitig tat er mir aber auch leid, dass er sich den Schandmäulern von Vaddas Kumpeln derart auslieferte. So dachte ich, damals kannte ich Vadda jedoch noch nicht richtig.
„Das geht in Ordnung, Herr Krizsán“, sagte er beschwingt. „Ich bin ungefähr in einer Viertelstunde mit dem Auto da. Auf Wiedersehen, Onkel Jónás.“
Er lächelte Erika an, verabschiedete sich mit einem Kopfnicken von Pali und ging. Ich war überrascht. Wenn ich nicht gewusst hätte, was für Schweinereien er draußen gleich zu seinen Kumpeln sagen würde, hätte ich geglaubt, er sei über Vaters Strenge sogar erfreut. Dabei war das die Wahrheit. Vadda war in Erika verliebt und – wie so viele andere, die mit unserer Familie in Kontakt kamen – ein bisschen auch in Vaters Strenge.
„Warum tust du ihm das an?“, fuhr Erika Vater an.
„Das werde ich dir später unter vier Augen erzählen“, sagte Vater und schob der sich anbahnenden Diskussion einen Riegel vor. „Jetzt ist es ungünstig.“
„Aber Gerda würdest du gehen lassen“, sagte Erika.
Vater nahm die Bemerkung gar nicht zur Kenntnis.
„Euer Vater hat recht“, sagte Onkel Jónás, stand aber immer noch nicht auf.
„Was ist nun, Tomi, kommst du mit?“
„Ich möchte nicht“, sagte ich, wofür ich mehrere Gründe hatte. Ich wollte nicht sehen, wie meine Schwester und Vadda sich küssten. Ich wollte kein fünftes Rad am Wagen sein. Überhaupt war mir das Thema
Liebe
ziemlich unangenehm. Ich fürchtete mich vor Vaddas Freunden und ihren spöttischen Bemerkungen. Ich hätte wirklich lernen müssen. Ich wollte fernsehen. Ich wollte Onkel Jónás zuhören, der, wenn er wollte, wunderbar erzählen konnte und meinen Vater sehr respektierte. Noch mehr als ich.
„Klärt das irgendwie unter euch“, schloss Vater die Diskussion für seinen Teil ab und wandte sich an seine Gäste: „Frohes Fest, Jónás.“
Wir stießen an. Vater setzte sich auf den dritten Hocker. Erika sah mich flehend an. Aber
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