Liebe Unbekannte (German Edition)
wir diesen Teil schon mal geklärt. Und nun erzähle ich Ihnen noch etwas. Über das Haus. Es handelt sich um eine bescheidene Villa. Ein einstöckiges Gebäude. Es wurde in mehrere Wohnungen aufgeteilt, der erste Stock gehört jedoch nur mir. Das ist eine hundertvierzig Quadratmeter große staatliche Wohnung. Sie ist ungefähr zehn Millionen Forint wert. Ich kann Ihnen den Wert aber auch in Devisen angeben, um die Sache in einen weltwirtschaftlichen Kontext zu bringen: Sie ist im Augenblick ungefähr neunhunderttausend D-Mark wert.“
Patai warf Kornél einen triumphierenden Blick zu, dieser reagierte jedoch in keiner Weise. Er wollte abwarten, worauf Patai hinauswollte.
„Diese Wohnung werde ich Ihnen testamentarisch vermachen. Ich vermache die Wohnung demjenigen, der dafür sorgt, dass die letzten Lebensjahre des Esels friedlich und glücklich verlaufen.“
Kornél sah ihn nur sprachlos an.
„Passen Sie auf, am Ende vermache ich die Wohnung noch Oszi Kerekes.“
Kornél schüttelte den Kopf. Nicht, als würde er verneinen, eher, als würde er glauben zu träumen.
„Wieso vermachen Sie sie nicht dem Schriftsetzer?“
„Schon gut“, sagte Patai, „ich verstehe ja, dass Sie im Moment Wichtigeres zu tun haben, als eine Wohnung im Wert von neunhunderttausend D-Mark anzunehmen, die, zugegeben, über den kleinen Schönheitsfehler des besagten Esels verfügt. Sie sind jetzt mit Ihrem eigenen aufgewühlten Innenleben beschäftigt. Ich wollte nur Ihr Gesicht sehen, bevor ich …“
„Es war also nur ein Scherz.“
„Keineswegs. Das Angebot steht. Glauben Sie bloß nicht, dass Sie es umsonst bekommen. Ich dachte mir, Sie ziehen zu mir, unterhalten sich mit dem Esel und manchmal vielleicht auch mit mir. Wir hätten uns einiges zu erzählen … Gut, ich will Ihnen nicht ins Gesicht lügen: Ich hätte Ihnen einiges zu erzählen. Sie glauben sicherlich nicht, dass auch Sie mich interessieren. Und damit liegen Sie ganz richtig. Jedoch interessieren Sie sich für mich! Von mir können Sie so manches erfahren, was Sie von niemand anderem erfahren können. Und das wissen Sie genau. Und ich will reden. Das ist alles. Sie würden also zu mir ziehen und kurz nachdem ich die letzte Schwelle des Menschendaseins überschritten haben werde, meine Wohnung erben. Na, was sagen Sie?“
„Es handelt sich also um einen Pflegevertrag?“
„So kann man es auch nennen. Aber ohne Verpflichtung zur Pflege. Wenn ich gelähmt oder verrückt werde, ist das nicht Ihre Angelegenheit. Sie dürfen nur nicht zulassen, dass dem Esel etwas zustößt. Kommen Sie, Hand drauf und dann erzähle ich Ihnen noch die schlechte Nachricht.“
„Aber … wieso?“
„Weil ich unsägliche Angst vor der Einsamkeit habe“, antwortete Patai trocken. „Wenn Sie mich schon so direkt danach fragen.“
Kurz trat Stille ein.
„Und was ist das für eine Wohnung?“
„Ich sage doch, eine staatliche Wohnung.“
„Verzeihen Sie, aber darf ich fragen … wie Sie sie bekommen haben?“
„Ich hatte keine Zweifel, dass Sie mich danach fragen würden.“
Die Geschichte, wie Patai die Wohnung bekommen hatte, war folgende: Der Bruder des Eigentümers der Villa war ein Dorfpfarrer, der einen Märtyrertod erlitt oder zumindest für immer verschwand, nachdem er freiwillig in den Waggon eingestiegen war, in dem die vierzig Mitglieder der ihm anvertrauten Herde, die die sowjetischen Besatzer wahllos von den Dorfstraßen eingesammelt hatten, zur Zwangsarbeit nach Sibirien geschleppt wurden. Deshalb und weil er außer dem Pfarrersbruder auch eine Schokoladenfa brik hatte, und somit der Bourgeoisie angehörte, wurde der Bruder des Pfarrers enteignet, interniert und später aus dem Land vertrieben. Patai erhielt die Wohnung im ersten Stock 1952 vom Staatlichen Kirchenamt.
„Wissen Sie, das war damals eine so ziemlich typische Geschichte …“
„Es ist nett von Ihnen, dass Sie an mich gedacht haben“, sagte Kornél, während er aufstand. „Aber ich möchte das Angebot lieber nicht annehmen.“
Diese Geschichte kursierte in der Bibliothek. Kornél kannte sie auch.
„Wenn Sie glauben, ich hätte dafür jemanden getötet, irren Sie sich gewaltig.“
„Das denke ich nicht, Herr Patai.“
Kornél öffnete seine Tasche.
„Kommen Sie ja nicht auf die Idee, den Schnaps hier zu lassen.“
Das musste man Kornél nicht zweimal sagen. Er klappte die Tasche wieder zu und ging mit raschen Schritten zur Tür.
„Idiot.“
„Auf Wiedersehen.“
„Die
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