Liebe Unbekannte (German Edition)
habe. Ich soll mich da nicht einmischen, dich soll ich in Ruhe lassen und ja nicht zurückgehen, um dich zu holen. Schon gut, habe ich gesagt, mir ist es schnuppe, aber was wird dann mit der Tanne. Denn das war nämlich gerade das große Thema da unten, die Tanne, nein, eigentlich nicht die Tanne, sondern, dass die Sache mit den Glückwünschen wegfällt. Denn das fällt weg, genauso wie das
Grippenspiel
. Daraufhin hat sich Schwesterchen die Sache mit der Tanne ausgedacht, denn in der Bródy ist alles so kahl, doch Gizella sagte daraufhin, es sei noch nicht Weihnachten. Und dann war wieder voll die Depristimmung. Doch in dem Moment kam ich gerade an und habe erzählt, dass ich euch in der Eckkuppel gesehen habe und so weiter. Da hat mir Schwesterchen einen ganz schönen Rüffel gegeben, ich soll dich in Ruhe lassen, und so, und dann ist sie nach Hause gegangen. Ich glaube, sie ist nach Hause gegangen.“
Er hielt eine Pause, denn als ersten Schritt hatte er mir lediglich vorlügen wollen, dass Schwesterchen nach Hause gegangen war. Jetzt, nachdem er diese Teilaufgabe gelöst hatte, ruhte er sich kurz aus und ordnete seine Gedanken. Er ergriff erneut den Ärmel meines Mantels.
„Bevor sie nach Hause gegangen ist, hat sie übrigens auch gesagt, dass du nicht sauer auf sie bist. Wirklich nicht? Sagt sie das nicht einfach nur so?“
„Ich bin überhaupt nicht sauer auf sie“, sagte ich missmutig. Ich war nicht sauer auf sie, es wäre ja auch komisch gewesen, wenn ich auf sie sauer gewesen wäre, wir trauten uns nur nicht, einander in die Augen zu schauen.
„Dann ist ja gut, schade, dass sie nach Hause gegangen ist. Und Gizella hat zuerst auch gesagt, ich soll dich in Ruhe lassen. Ich habe aber gesagt, wenn Schwesterchen sowieso schon nach Hause gegangen ist, wieso sollte ich dich dann nicht fragen. Du bist ja ein kchäftiger Burfe, ja, kchäftig genug. Doch dann kam Schwesterchen noch einmal zurück und sagte, warte, was war es gleich noch mal … Ich will dir keinen Schreck einjagen, aber es sieht so aus, dass sie am Ende doch einen Italiener heiraten wird und nach Italien geht.“
„Es gibt also doch einen Italiener?“, fragte ich.
„Du hast einen Schreck bekommen, stimmt’s, Schätzchen? Ich glaube, es gibt keinen Italiener, keine Angst, aber genau wissen kann man es natürlich nie.“
Bevor ich hätte antworten können, lachte er verschämt, ja, es war eher wie ein vereinzeltes Glucksen, denn ihm war etwas eingefallen, was er mir auch gleich, sich näher beugend, erzählte.
„Weißt du, woran ich denken muss, wie ich dich so am Mantel halte? Hast du schon einmal eine Mutterkatze gesehen? Du weißt doch, wie sie das Kätzchen, irgendwie so, am Hals packt und vom brennenden Dachboden schafft, damit es sich nicht verbrennt, da rollt sich das Kätzchen irgendwie in der Luft zusammen. Es zieht den kleinen Schwanz ein … zieht ihn hoch zum Bauch und dann … hängt es so.“
Ich wartete ein bisschen, um zu erfahren, was er damit sagen wollte, aber das war es, was er hatte sagen wollen. Ich lachte, aber es war nicht einfach, denn er hatte mich mit seinen Worten gepackt, wie eine Mutterkatze das Kätzchen.
„Und wo ist der Baum?“
„Also, ich weiß ja nicht, was du davon hältst, aber ich dachte, dass wir zusammen losziehen. Wir schauen uns im Gebäude um und wenn wir hier oben keine kchäftigen Burfen finden, holen wir tief Luft und gehen in den Luftschutzkeller. Denn du und dein Herzallerliebster seid zwar ziemlich kchäftig, vor allem er, aber so einen großen Baum könnt ihr nicht zu zweit tragen. Und ich würde sagen, deinem Herzallerliebsten sagen wir vielleicht gar nicht Bescheid, denn er ist zwar kchäftig, aber ein bisschen zu wild. Es reicht, wenn du mitkommst. Und die, die wir im Luftschutzkeller noch finden. Wir gehen in den Keller, gut? Traust du dich? Wetten, dass du noch nicht im Luftschutzkeller warst. Nein, du warst noch nicht dort. Ich sehe es dir an der Nase an. Ah, dann wird es dir da sehr gefallen. Man kann sich dort unten verlaufen. Diese Bibliothek ist nämlich richtig, richtig groß. Und zudem ein absolut kchetisches Labyrinth.“
Er führte, genauer gesagt zerrte mich am Mantelärmel die Treppe hinunter, hinaus aus dem Dachgeschoss. Manchmal ließ er mich los, doch dann ergriff er wieder meinen Ärmel. Er fasste ihn sehr behutsam an, kaum merklich. Um anzudeuten, dass er mich hinter sich herzog. Wie wir uns so gemeinsam bewegten, ergaben wir ein einziges, linkisches Wesen.
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