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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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Nacht überlebte. Er nahm das Parkán in der Abenddämmerung mit einem Schluck Wodka ein, zog sich schön warm an und ging los. Er kletterte sogar noch einmal in die Eckkuppel zurück, um einen zusätzlichen Pullover und noch ein Paar Strümpfe anzuziehen, denn er zog zwar los, um zu erfrieren, wirklich
erfrieren
wollte er dann aber doch nicht (was er Gábor nicht erzählte, da er den Lebensinstinkt an sich schon für etwas Niederes hielt und erst recht in Kombination mit Wollsocken). Er vergaß, das Licht auszuschalten und Gábors Ultimatum bemerkte er nicht. Die Beleuchtung in der Eckkuppel war nicht besonders. Er ging auf den Sváb-Berg, fand jedoch weder einen Esel, noch die Villa, noch Patai. Er wird wohl auch im Wald gewesen sein und auf einer Lichtung, denn er fand einen Heuschober, den er anzündete, nachdem er sich hineingelegt hatte und ihm bewusst wurde, dass er erfrieren würde, falls er einschlief. Deshalb zündete er ein großes Bündel Heu an. Das Feuer griff auf den gesamten Schober über. Er selbst behauptete, er wäre erfroren, wenn er sich nicht am brennenden Schober gewärmt hätte. Er ging aber auch durch andere Gegenden der Stadt, bevor er auf den Sváb-Berg kam: In die Pozsonyi Straße, wo er eine halbe Stunde lang das Fenster des jungen namenlosen Psychiaters anstarrte, hinter dem sich Emma befinden musste – was auch so war, sie versuchte gerade, Emőke Széles aufzubauen, die sie eine halbe Stunde zuvor angerufen hatte, um ihr zu sagen, dass sie sich Sorgen um Kornél mache, ja, sich überhaupt um alles Sorgen mache und zudem noch hässlich geworden sei. Mit einem Wort, Kornél war viel umhergeirrt in dieser Nacht. Er kam in den Morgenstunden halb erfroren nach Hause, kurz bevor Emőke Széles bei ihm ankam, und sich vorübergehend alles zum Guten wendete.
    Er traute sich nicht, auf dem Baugerüst hinaufzuklettern, so steif war er vor Kälte. Er weckte Onkel Öcsi, damit dieser ihn hineinließ.
    Über Onkel Öcsi war allgemein bekannt, dass man ihn nicht wecken konnte. Nach eigenen Angaben hatte er seit zwanzig Jahren nicht geschlafen, denn man habe ihm damals bei einer Wirbelsäulenoperation auch sein
Schläferchen
entfernt. Nichtsdestoweniger konnte er hervorragend schlummern, vor allem in den frühen Morgenstunden wie jetzt, als der halb erfrorene Kornél ihn zu wecken versuchte. Er schlummerte schnarchend in der Pförtnerloge. Am liebsten hätte er Kornél gar nicht hereingelassen, sollte dieser doch am Gerüst hinaufklettern oder unterm Steinlöwen schlafen, aber er verfügte über eine gewisse Menschlichkeit. Und auch über Schadenfreude. Es tat gut, den zermürbten, halb toten, zerkratzten, nach Rauch riechenden Kornél zu sehen, denn dieser war ihm gar nicht grün.
    „Wurden Sie vom Sechs-Uhr-Zwanziger überfahren, oder was zur Hölle ist mit Ihnen los?“
    „Ich bräuchte mein Bett, Onkel Öcsi.“
    „Das ist kein Hotel. Im Januar werden Sie in hohem Bogen aus der Kuppel fliegen“, sagte er. „Das ist doch nicht normal, dass man einfach so ein- und aussteigen kann.“
    Onkel Öcsi nahm einen Umschlag vom Tisch. Darin waren meine Gedanken über den übermenschlichen Menschen aufgeschrieben. Frau Mirák hatte sie am Tag zuvor bei ihm abgegeben und seitdem fragte er jeden, ob nicht jemand seine Gedichte verloren habe – und an der Frage war auch nichts verkehrt, denn in der Bibliothek hatte jeder Gedichte, einst sogar Onkel Öcsi. Als ich am Abend die Bibliothek verlassen hatte, hatte er auch mich gefragt, da er es mir zugetraut hätte, ich stritt es jedoch ab.
    „Gehören die Ihnen?“
    Kornél warf einen Blick auf das Blatt Papier.
    „Schon möglich.“
    „Schon möglich oder sicher?“
    „Sicher!“, sagte er und stopfte meine Gedanken in die Manteltasche. „Nur lassen Sie uns endlich gehen, sonst falle ich hier um.“
    Das Dachgeschoss war von den unteren Stockwerken der Bibliothek getrennt. Nachts schloss man es ab. Onkel Öcsi musste Kornél hinaufbegleiten, um ihn ins Dachgeschoss zu lassen.
    „Haben Sie Streichhölzer?“
    Kornél kramte eine Weile in den Taschen, wobei er einen jammervollen Anblick bot, und fand schließlich die Schachtel.
    „Sie ist leer.“
    „Sicher?“, fragte Onkel Öcsi. „Zünden Sie sich ja keine Zigarette an, sonst gehen Sie noch in Flammen auf.“
    „Ach, wie schön das wäre“, sagte Kornél ein wenig theatralisch.
    „Sie verdienen einen Tritt in den Hintern“, sagte Onkel Öcsi, doch dann schloss er die Tür zum Dachgeschoss

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