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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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neuen Idee, und da erblickte er mich. „Sieh mal, da kommt ja der Diener.“
    Er zwinkerte mir zu, damit ich ihn nicht missverstand: Er halte mich nicht für einen Diener, das sei lediglich ein Spiel. Ich lächelte, um ihm zu bedeuten, dass ich ihn verstand.
    „Auf die Knie, Diener!“
    Er zwinkerte wie wild, ja, er halte mich keineswegs für einen Diener, es wäre jedoch wunderbar, wenn ich mich hinknien würde. Das Zwinkern war ein Betteln: „Komm, Kumpel, ich gebe dir einen aus, einen Spritzer oder was du willst, wenn du mir jetzt hilfst.“ Ich überlegte.
    „Auf die Knie, Diener!“, sagte er würdevoll. Dabei zwinkerte er ungeduldig. Dieses Zwinkern war mit dem Höchstmaß an erdenkbarer Erwachsenen- und Männerkomplizenschaft aufgeladen. Er unterstrich seine Bitte mit kleinen, krampfhaften Handbewegungen, die das Mädchen nicht bemerken sollte, knie dich endlich hin, versteh doch, das ist jetzt so eine Situation, ich bin der Hofmeister oder der König oder was auch immer, du siehst doch, wie großen Spaß es der Kleinen macht, sie fühlt sich wie eine Prinzessin. Er wollte keine eindeutigeren, breiteren Handbewegungen machen, denn es gehörte zum Spiel zu zeigen, wozu er (der König) allein durch die Macht seiner Stimme zu erreichen fähig war.
    „Auf die Knie, Diener!“
    Noch wilderes Zwinkern, nicht, dass ich es in den falschen Hals bekomme. Nur solle ich mich doch endlich hinknien.
    In dem Moment kam Schwesterchen, mit einer Matratze unterm Arm, Sonnenöl und Italienischbuch in der Hand, Kopfhörern auf dem Kopf und Maria Callas im Ohr, um sich zu sonnen. Verwundert beo bachtete sie die Szene.
    „Afdikni, dina!“, rief nun auch das Mädchen. „Afdikni, dina!“
    Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Schwesterchen inzwischen die Kopfhörer abgesetzt hatte. Nun hörte sie auch, was geschah. Ich drehte mich um und ging, dabei ahnte ich, dass es vielleicht gerade für Mädchen, die eine abgeklebte Brille trugen und ihren Rotz ableckten, am wichtigsten war, sich einmal im Leben als Prinzessin zu fühlen. Nein, das stimmt nicht: Ich ahnte es nicht nur, ich war mir darüber im Klaren. Ich verließ den Balkon im vollen Bewusstsein dessen, was ich damit anrichtete.
    „Das kann doch verdammt noch mal keine so große Bitte sein“, hörte ich hinter meinem Rücken. „Was glaubst du, wer du bist, du Arsch?!“
    „Was geht Sie das an?“, brüllte ich in schäbigem Ton zurück. „Und seit wann sind wir eigentlich per du?“
    Ich sehe die Szene heute noch vor mir. In dem Augenblick hätte nun wirklich niemand von mir gedacht, dass mein Kopf von Fackelglanz und Pracht erfüllt war, in ihm Gedichtzeilen über den Niedergang des alten Roms entstanden und dekadente Festgelage stattfanden, ja, überhaupt, dass ich ein verkleideter Prinz war und ein Künstler, wie Gerda immer sagte. Ich solle aufpassen und mir alles gut merken, denn meine Zeit sei noch nicht gekommen. Offenbar war sie nun doch gekommen. Das war meine Zeit! Was ich glaubte, wer ich war, ich Arsch? Der Arsch, der einmal, in einem ähnlichen Moment, Rache für seine Familie geschworen hatte, mit Stroh im Kopf, aber leichten Herzens, da er zuvor über sich selbst hatte lachen können. Ich hatte keine Angst vor dem Kerl, ich war einen halben Kopf größer als er, und er war wirklich sehr betrunken. Und ich hatte auch eine kräftige Stimme. Wovor ich mich fürchtete, war mein maßloser Hochmut.
    „Schon gut, ist ja alles in Ordnung“, murmelte er unterwürfig und von da an grüßte er mich stets zuerst. Er behielt mich als jemanden im Kopf, gegen den er irgendwo einmal gekämpft und verloren hatte, weshalb er mich zuerst grüßen müsste, was er dann auch immer tat, bis man ihn eines Tages aus der Bibliothek entfernte wie Müll. Jahre später sah ich ihn noch einmal, an einem eiskalten Wintermorgen im Nachtbus, zusammengekauert und stinkend kreiste er um die Budapester Innenstadt, da man die Obdachlosen damals noch nicht aus den Nachtbussen warf. Da kniete ich wieder nicht nieder, aber es hatte auch keine Bedeutung mehr, er wurde gar nicht wach.
    Am nächsten Tag kam Schwesterchen wegen eines Signatur-Problems ins Lager. Ich soll jemandem das falsche Buch geschickt haben. Wegen so etwas kam gewöhnlich niemand ins Lager, aber es erschien mir auch nicht wie ein eindeutiger Vorwand. Ich hatte einen kleinen Tisch mit einer Leselampe, an dem ich las. Als ich Schwesterchen erblickte, wäre ich wegen der Balkonszene vom Vortag am liebsten im Erdboden versunken.

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