Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
Vom Netzwerk:
Elemérs Gangart war das Schleichen, und nun schlichen wir zu zweit. Dabei dachte er wahrscheinlich selbst, seine langen, weichen Schritte, die er zu seinem eigenen Spaß machte, seien wie die eines Panthers. Vielleicht zählte er sie sogar. Man sah ihm an, dass seine Schritte ihn stark beschäftigten. Er trug auffällige, weiße Schuhe, um unterwegs immer zu sehen, was da unten vor sich ging. Er dachte auch an seine langen Beine: statt des üblichen braunen Bibliothekarkittels, der bis zur Mitte des Oberschenkels ging, trug er einen hüftlangen, hellen. Ein schwarzer Panther in Kellnerjacke. Wie ein Kellner beim Servieren. So war es auch. Er servierte mich seiner Schwester.
    Ich kannte seinen genauen Plan nicht, aber womöglich ging es ihm selbst damit ähnlich. Er hatte sich wahrscheinlich zusammengereimt, dass ich mich nicht traute, Schwesterchen anzusprechen. Dann würde eben er mich zu ihr führen. Als er mich in der Eckkuppel erblickt hatte, wird er wohl gedacht haben, dies sei die letzte Möglichkeit, um in der Sache zwischen mir und Schwesterchen etwas zu unternehmen. Er wollte nicht bis zum Ball warten, da er befürchtete, dass Gábors heiterer, gesunder Freundeskreis bis dahin seine Wirkung auf mich getan haben würde. Und als er mich im Mantel erblickte, ergriff er die Gelegenheit.
    Wahrscheinlich war Schwesterchen noch da, hatte sich nur vor mir versteckt. War weggerannt. Und jetzt saß sie auf irgendeiner Nebentreppe, hörte Musik und rauchte eine halbe Schachtel Zigaretten. Und Elemérs Plan war wohl, so lange mit mir durchs Gebäude zu spazieren, vorbei an Schwesterchens üblichen Verstecken, bis wir ihr begegneten. Quasi zufällig. Und dann würde er sagen:
    „Unterhaltet euch, Schätzchen. Ich werde schon allein ein paar kchäftige Burfen finden.“
    Und er würde uns allein lassen, damit wir uns unterhielten.
    Ich durchschaute seinen Plan und drückte ihm die Daumen. Vor Schwesterchen hatte ich Angst und wäre ihr nicht gerne begegnet, an Elemérs Erfolg lag mir jedoch viel. Und es tat gut, seinem Schwatzen zuzuhören, den kleinen Geschichten, die mich ablenken sollten, und ihm dabei zuzusehen, wie er herummanövrierte. Wie er immer wieder von den kchäftigen Burfen anfing und betonte, dass Schwesterchen nach Hause gegangen war und sich dabei völlig in seine eigenen Geschichten hineinsteigerte. Wie er das Netz spann, in dem ich gefangen werden sollte.
    Er spazierte mindestens eine halbe Stunde lang mit mir durch den Palast. Wir gingen sogar auf den Königinnenbalkon hinaus, dieser war jedoch (im Dezember, welch ein Wunder!) leer, es lungerte dort kein einziger kchäftiger Burfe herum. Das halb erfrorene, depressive, rauchende Schwesterchen hätten wir jedoch gewiss dort antreffen können. Und ich sah ein, dass Elemér recht hatte. Er machte seine Arbeit gut.
    Es fing damit an, dass Schwesterchen Zeugin der größten Schandtat meines Lebens, einer von mir begangenen, unverzeihlichen Niederträchtigkeit wurde. Ein Vergehen, nach dem man sich noch Monate später wie ein Scheusal fühlt, und es selbst nach zwanzig Jahren nicht wesentlich anders empfindet. Eines, das einen in die finstersten Winkel der eigenen Seele blicken lässt, und wenn man über genug Kraft verfügt, kämpft man von da an ein Leben lang dagegen, was man dort gesehen hat. Eines, das den Menschen bekehrt, oder, wenn er bereits über einen Glauben verfügt, dazu bewegt, Mönch zu werden.
    Es war im Übrigen kein besonderer Vorfall.
    Sie hieß Éva Viola Dévai, wurde jedoch wegen Elemér von allen Schwesterchen genannt. Über Elemér wurde in der Bibliothek viel gelacht, Schwesterchen mochten jedoch nur wenige, da sie angeblich einmal vorgegeben hatte, zwischen ihr und Elemér bestehe gar keine Blutsverwandtschaft. Die Bibliothek durfte über Elemér lachen, aber was Jupiter durfte, durfte Éva Viola Dévai, Elemérs Ein und Alles, noch lange nicht.
    Dabei bestand eine Blutsverwandtschaft zwischen ihnen. Éva Viola Dévai war gerade deshalb geboren worden, weil Elemér die Hoffnungen, die seine Familie an ihn geknüpft hatte, nicht erfüllte. Elemér war ungefähr fünfzehn Jahre alt gewesen, als klar geworden war, dass er den Namen Viola Dévai nicht weitervererben würde. Ja, er würde überhaupt nichts weitervererben. Die Familie verheimlichte ihre Enttäuschung vor ihm, zumindest traten sie ihm nicht zu nahe, indem sie ihm sagten, wofür sie ihn hielten, weil sie ihn liebten und in Wirklichkeit gar nicht wussten, was er war. Und

Weitere Kostenlose Bücher