Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
Vom Netzwerk:
Hilfe suchend an, was er gar nicht bemerkte, da er völlig im Bann von Emőke Széles’ Darbietung war. Statt einer Antwort zog ich die zerschnittene Schlinge aus der Tasche, um zumindest so viel zum Thema
knallharte Realität
beizusteuern.
    „Endlich hat sie jemand zerschnitten!“, sagte Emőke Széles erfreut. „Siehst du, Gábor, so ist ein Dichter. Er fackelt nicht lange, er schneidet sie einfach durch.“
    „Das hat er gemacht“, sagte ich und deutete auf Gábor.
    Schwesterchen klopfte mir ermutigend auf die Schulter, erhob sich von meinem Schoß und ging in den anderen Saal, wo das Konzert begann. Emőke Széles würdigte Schwesterchen keines Blickes.
    „Nun, von jetzt an lässt du dich nicht mehr treiben. Du wirst Ergologie studieren. Und mit dieser Frau möchte ich dich nicht wieder sehen. Ich werde ein Auge auf dich haben. Gábor, pass auf diesen Jungen auf, in Ordnung? Und kommt hinüber, sonst verpasst ihr uns noch. Wagt es ja nicht, uns zu verpassen!“
    Und schon war sie weg. Sie, Kornél und der Osteuropaexperte waren kurz vorher angekommen. Jetzt eilte sie zu ihnen zurück. Sie gehörte dorthin. Aber sie wandte sich noch einmal um.
    „
Ich träume
ist bei Weitem das Beste!“, lobte sie das schlechteste der drei Gedichte. „Das ist gar kein Vergleich mit den anderen beiden.“
    Ich war Emőke Széles dankbar. Sie sprach mit mir, wie ich es mir schon immer gewünscht hatte. Ich verstand nur nicht, wie jemand, der am Tag zuvor eine Abtreibung gehabt hatte, so gut gelaunt sein konnte. Ich konnte es mit nichts anderem erklären als der Leere. Der Leere, die ich auch in mir spürte.
    „Was verpassen wir?“
    „Das große Ereignis“, sagte Gábor geheimnisvoll. „Du wirst schon sehen.“
    Wir gingen auch in den anderen Raum, wo wir Schwesterchen hinten in einer Ecke erblickten. Wegen der Leute, die vor ihr standen und den Blick verstellten, sah sie nichts von der Bühne. Sie blickte nicht in unsere Richtung, dennoch ging ich auf sie zu.
    „Soll ich abhauen?“, fragte Gábor.
    „Auf keinen Fall.“
    „Warum gehen wir dann zu ihr?“
    „Das muss sein“, sagte ich.
    Es musste sein. Wir gingen zu ihr. Von Nahem sahen wir bereits, was sie machte. Sie sang und lächelte. Sie freute sich über uns.
    „Na, habt ihr alles besprochen?“
    Ich nickte.
    „Dann ist ja gut.“
    Im Grunde begann der Ball jetzt, denn alle anderen Programmpunkte waren weggefallen. Gábor und ich blieben während der ganzen Zeit bei Schwesterchen. Die Begegnung mit Emőke Széles und Kornél mied ich während des Balls eher. Emőke sah ich kurz in der Cafeteria, wo sie mit der wunderschönen Frau diskutierte, der ich am Nachmittag vor der Eckkuppel begegnet war und von der ich ahnte, dass es sich um Emma Olbach handelte, wobei ich mir bis zur Beerdigung ihres Großvaters nie hundertprozentig sicher war. Gábor sprach hin und wieder ein paar Worte mit Kornél, doch ich hielt mich im Hintergrund (sprechen wir es aus: Ich lungerte herum), da ich das Gefühl hatte, es würde noch unzählige geeignetere Augenblicke im Leben geben, um Kornél kennenzulernen. Wie es dann auch geschah. Eilen wir jedoch nicht voraus.
    „Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Brüder und Schwestern“, sagte Tabaki. „Vor fünfhundert Jahren machten sich zweihundert unerschrockene Raubmörder aus Mexiko auf den Weg, um Peru zu erobern. Sie hatten echt gute maschinelle Waffen, also hatten die Peruaner überhaupt keine Chance, und das habe ich nicht erfunden, sondern vom Ehrengast des Abends gehört. Der Ehrengast des Abends ist anwesend, ich werde ihn gleich vorstellen, ich erzähle das nur noch zuerst zu Ende. Vor fünfhundert Jahren automatisierte man also das Bogenschießen, indem man das Gewehr erfand, dann wurde dieses vor hundert Jahren weiter automatisiert, indem man das Maschinengewehr erfand, und wenn man schon mal so schön dabei war, alles zu automatisieren, versuchte man sich an der Pferdekutsche, daraus wurde das Auto, und als man damit fertig war, hatte man keine Ahnung, was zur Hölle man noch automatisieren könnte. Dann gab es eine Automatisierungspause von siebzig Jahren, in der man nur an den alten Sachen herumbastelte und sich mit diesen umbrachte, aber irgendwie hatte jeder das Gefühl, dass es da noch irgendetwas gebe, das verdammt noch mal noch nicht maschinell genug sei, und dann kamen die fünfziger Jahre. Da gab es in den Vereinigten Staaten fünf unerschrockene Mörder, die dachten, so könne das nicht weitergehen,

Weitere Kostenlose Bücher