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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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wirklich vorlesen? Sie war sogar ein bisschen wütend auf Vater. Dem Brief waren drei Tafeln Tibi-Schokolade beigefügt. Reichte das denn nicht für die Kinder?
    „Sie sind alt genug.“
    „Wenn du meinst“, erwiderte Mutter und las gereizt weiter.
    …dern zu zeigen
.
    Am Tag vor dem Umzug führte ich ein wirklich seltsames Gespräch. Bevor ich zum Abschied zu Euch kam … aus dem dann dieser wunderbare Abend wurde. (In Klammern: Ich habe lange nicht mehr so viel gelacht, wie als István meinen Traum von dem Klosterbruder mit den Lei … Leichenflecken an den Fußsohlen gedeutet hat.)
    Mutter stockte und warf Vater einen vorwurfsvollen Blick zu: Na, da hast du es, Leichenflecken, war es das, was du wolltest?
    Und Iréns Gastfreundschaft. Und diese klugen Kinder. Familie kann man durch nichts ersetzen … Als ich bei Euch war, habe ich die Sache ganz vergessen. (Ich meine, dieses unangenehme Gespräch.) Erst am nächsten Tag fiel es mir wieder ein. Als Mutter und ich bereits unsere Sachen packten. Aber so richtig bewusst geworden, dass das irgendwie nicht in Ordnung ist, ist es mir erst hier, in Bonyhád. Ich hatte plötzlich das Gefühl, in der Angelegenheit etwas unternehmen zu müssen. Aber was? Wenn Ihr es lest, werdet Ihr mich vielleicht auslachen, aber ich glaube trotzdem, dass jemand in Nyék davon wissen muss, andererseits will ich es auch nicht in offizielle Wege leiten, weil ich den Betroffenen keine Unannehmlichkeiten bereiten will. (Deshalb schicke ich den Brief auch nicht per Post, sondern mit meinem Schwippschwager, dem Krankenwagenfahrer.) Es kann sein, dass ich zu viel Wind darum mache, wie auch immer, ich bitte Euch, die Sache auf jeden Fall vertraulich zu behandeln. Das Beste wäre vielleicht, wenn Ihr diesen Brief nach dem Lesen verbrennen würdet
.
    Mutter hörte an dieser Stelle wieder auf und fragte Vater mit einem vorwurfsvollen Blick, ob sie fortfahren solle. Und Vater bedeutete ihr, alles sei in Ordnung, sie könne ruhig weiterlesen. Mutter zuckte die Schultern, nun schmollte sie und las den Brief ohne Unterbrechung bis zum Schluss. Die Frage des Briefverbrennens besprachen Vater und sie erst, nachdem wir zu Bett gegangen waren. Sie mussten ziemlich darüber schmunzeln, was für eine romantische Seele dieser Zahnarzt war, dass er so eine abenteuerliche Lösung wie das Verbrennen vorschlug. Mutter sagte, eigentlich wäre es noch abenteuerlicher, den Brief gerade nicht zu verbrennen, das könnte glatt aus einem Roman von Jókai stammen. Vater teilte ihre Meinung. Wahrscheinlich sagte er etwas Ähnliches wie, der Zahnarzt versuche seiner Aufmerksamkeitssucht mit emotionaler Erpressung Geltung zu verschaffen, genau konnte es Gerda, die an der Tür lauschte, aber nicht verstehen. Vater war auch eine romantische Seele, und früher hatte es so manche abenteuerliche Wendung in seinem Leben gegeben, ja, er hatte sogar aus lebenslanger freundschaftlicher Treue eines Nachts einen Revolver in die Donau geworfen, und das Mitte der sechziger Jahre – doch gerade dieser Vorfall machte ihn abenteuerlichen Wendungen gegenüber endgültig misstrauisch. Seine Meinung war, für eine Familie bestünde die beste Lösung darin, überhaupt gar keine Briefe zu erhalten, die der Absender verbrennen lassen wollte.
    Statt Verbrennen oder Nicht-Verbrennen vergaßen wir den Brief, was uns nur sehr langsam und auch nicht endgültig gelang, denn das, worüber der Arzt darin berichtete, war tatsächlich seltsam. Jetzt zum Beispiel, als wir sieben Jahre später bei den Olbachs saßen, musste Gerda an den Brief denken, während Mutter immer verzweifelter versuchte, sich aus der peinlichen Lage herauszuwinden, in die sie sich selbst durch das Erwähnen von Edit Perbáli gebracht hatte. Die Gáls wollten nämlich aufbrechen, genauer gesagt war Márta Gál aufgesprungen und hatte gesagt, sie wolle jetzt gehen, da sie früh aufstehe und wenn Ervin Gál zu Fuß nach Hause zu gehen gedenke, solle er ruhig bleiben. Das sagte sie ziemlich trocken und kurz angebunden, und der etwas angeheiterte Ervin Gál erwiderte, dann solle sie doch gehen,
Ciao, bambina
, und die Frau war schon im Begriff, genau das zu tun, als sie bemerkte, dass sie sich gar nicht verabschiedet hatte.
    „Entschuldigung, gute Nacht“, zischte sie.
    Onkel Olbach begleitete sie hinaus.
    „Ervin, gehen Sie hinterher“, sagte Tante Mara energisch. Woraufhin Ervin Gál sogar aufstand, sich auf den Weg machte, es dann aber doch nur bis zur Toilette

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