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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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änderte, dass es etwas Erniedrigendes an sich hatte: Gerda und ich spürten, dass er Mutter durchschaute, als wäre sie ein Kind (von uns Kindern ganz zu schweigen). Er sah sie ernst an.
    Er war nervös und wollte es schnell hinter sich bringen, Mutters Anliegen zu klären. Es hätte ihn nicht erfreut, Ervin Gál zu verlieren. Die Olbachs konnten es sich damals nicht mehr leisten, bei der Auswahl ihrer Gäste zu wählerisch zu sein. Ervin Gál war ihnen wenigstens treu.
    Um es kurz zu machen: Ich stattete auch den Olbachs einen Abschiedsbesuch ab. Ich wollte mir das Mädchen noch einmal ansehen. Ihr ging es gut, es war alles in Ordnung. Wir unterhielten uns zu viert (das Mädchen war auch dabei). Dann begleiteten mich die beiden hinaus. Und dort stellten sie mir flüsternd einige Fragen. Sie wollten wissen, wie man ein Kind von der Schule befreien kann. Weil sie Emma für ein Jahr von der Schule befreien lassen wollten. Ich fand das seltsam, denn sie hatten sie ja erst kurz zuvor angemeldet, aber ich erklärte ihnen, was zu tun sei. (Schließlich hatten sie recht: Sie ist noch nicht einmal sechs Jahre alt, wozu sollte man sie mit der Schule quälen?) Doch dann fuhr Frau Olbach fort: Sie seien der Meinung, diese Krankheit sei eine Art Signal gewesen. Das Mädchen habe irgendwie gespürt, dass ihre Eltern sie verlassen wollten. Denn ihre Eltern seien „weit weg“ gefahren, und sie (also Emma) werde nun für mindestens ein Jahr in Nyék leben. Sie sprachen es nicht aus, ließen mich jedoch verstehen, dass die Eltern das Land verlassen hatten
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    Ich fragte sie, was Emma darüber wisse? Doch sie wusste gar nichts
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    Dann sagte Frau Olbach, dass sie sie vielleicht auch später nicht in der Schule anmelden würden. Vielleicht würde Emma Privatunterricht bekommen. Sie würden sie nicht einmal in den Garten lassen, geschweige denn auf die Straße. So schlimm sei Emmas Todesangst. Daraufhin gab ich ihnen die Telefonnummer des Kinderpsychologen. Dann sagte Frau Olbach wortwörtlich: „Herr Doktor, Sie als aufgeklärter Mensch werden mich nicht missverstehen. Ihnen gegenüber traue ich mich, es auszusprechen: Meine Enkelin wurde regelrecht verflucht.“ Ich schüttelte nur den Kopf. Daraufhin sagte Herr Olbach, dass es am besten wäre, wenn das Mädchen nicht einmal schreiben lernen würde. Seine Frau nickte zustimmend und sagte: „Und denken auch nicht.“ Am besten wäre es, wenn Kinder überhaupt nichts über den Tod erfahren würden. Man müsste sie kleine Tiere bleiben lassen. Das hat sie gesagt, haargenau so. „Glauben Sie mir, Herr Doktor, das wäre das Beste.“ Dann ging sie zurück ins Haus. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich sah ihren Mann fragend an, was das denn gewesen sei. Er sagte: „Herr Doktor, ich muss Ihnen sagen, dass meine Frau und ich mit dem Tod ausschließlich schlechte Erfahrungen gemacht haben.“ Und dabei sah er mich mit einem düsteren Blick an. Endlich fiel bei mir der Groschen, und ich verstand, dass das ein Scherz hatte sein sollen
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    Dann ging ich schnell nach Hause. Nun, das ist alles. Hätte ich das Mädchen vielleicht doch ins Krankenhaus schicken sollen? Sie sind beide alt und in einer grässlichen nervlichen Verfassung … Ich befürchte, Emma wird dieses eine Jahr nicht guttun. Eingeschlossen mit den Großeltern. Ihr ist ein schlimmes Trauma widerfahren, und sie können sie fürs Leben psychisch ruinieren
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    Dann dachte ich an Euch. Ihr seid in der Nähe. Ihr kennt sie. Ich bitte Euch, die Olbachs diskret im Auge zu behalten, wenn Ihr der gleichen Meinung seid
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    Vater, auf den man schon aus einem Tank mit einem Maschinengewehr geschossen hatte, wusste, was eine außergewöhnliche Situation war und was nicht. Als wir vor zehn Minuten aus dem Fenster geblickt hatten, weil die Nachbarshunde wegen eines Krankenwagens, der vor unserem Haus gehalten hatte, bellten, wusste er sofort, dass wir es mit einer außergewöhnlichen Situation zu tun hatten. Und wir lasen es von seinem Gesicht ab. Sogar ich kann mich noch an Vaters Gesicht erinnern, dabei war ich damals erst in der ersten Klasse. Er war ein schöner Mann, der durch diese außergewöhnliche Situation nur noch schöner wurde. Sein Gesicht war in Alarmbereitschaft versetzt: Seine Augen wurden schmal, seine Züge schärfer, aber nur leicht, einem Fremden wäre es gar nicht aufgefallen. Er wurde um Jahre jünger. Seine Stimme wurde härter.
    „Zieht euch vom Fenster zurück“, lautete seine der außergewöhnlichen Situation

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