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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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angemessene Anweisung. „Zeigt euch nicht.“
    Mutter zog mich vom Fenster weg, Gerda und Erika taten auch, was Vater sagte. Sich zurückziehen, sich nicht zeigen, das waren keine Ausdrücke, die man in einer alltäglichen Situation verwendete. Vater wusste selbst, dass diese Wortwahl übertrieben war, denn im Jahr 1969 würde niemand in Nyék aus einem Krankenwagen Feuer auf uns eröffnen, aber im Ungarischen gibt es eben keine weniger dramatische Möglichkeit, um auszudrücken, dass der Teufel niemals ruht und er, Vater, jetzt allein hinausgehen würde.
    Er ging allein hinaus. Der Krankenwagenfahrer übergab ihm den Brief und wollte nicht einmal eine Tasse Kaffee. Er sagte, er habe einen Patienten aus Bonyhád nach Budapest gefahren und sei nun mit dem leeren Wagen auf dem Weg nach Hause. Er wolle schnell zu seiner Familie. Er verabschiedete sich, gab Gas, als säße er in einem Rennwagen, und verschwand an der Ecke für immer. Dem Anschein nach war also kaum etwas passiert. Vater, der aus dem Augenwinkel alle Einzelheiten beobachtet hatte, hatte jedoch das entschiedene Gefühl, der Fahrer sei nicht allein in dem Krankenwagen gewesen. Es kam ihm vor, als hätte er gesehen, wie zwei Augen durch den schmalen Spalt über dem mit Milchglasfolie bedeckten Teil des Fensters herausspähten. Als er mit dem Brief in der Hand beim Haus ankam, war ihm auch schon klar geworden, dass nur der Zahnarzt im Wagen gesessen haben konnte. Er versteckte sich hinten und blickte hinaus, um sich der Übergabe des Briefes zu versichern. Persönlich wollte er sich jedoch aus irgendeinem Grund nicht zeigen. Als Vater sich zurück an den Tisch setzte, war er sich auch schon sicher, dass der Zahnarzt, ein Junggeselle, der mit seiner Mutter zusammenlebte, sich in unsere Mutter verliebt hatte. Von diesem Verdacht erzählte er ihr nichts, nur mir, viele Jahre später, kurz vor seinem Tod. Sein ganzes Leben lang nagte es an ihm, dass er Mutter ihren heimlichen Verehrer, den netten Zahnarzt, verheimlicht hatte. Dieses schlechte Gewissen plagte ihn bereits dort am Tisch, was auch der Grund dafür war, dass er das zensurlose Vorlesen des Briefes zuließ. Ritterlich gab er Mutter die Möglichkeit, selbst darauf zu kommen, was los war. Aber Mutter kam nicht darauf.
    Die nächste Woche stand im Zeichen dieser Geschichte.
    Der Brief lag einen Tag in Vaters Schreibtischschublade, weil Mutter und er die Sache nicht wirklich ernst nahmen, dann wurde er jedoch wieder herausgeholt, da das verrückte, vom Flachland ausgehende Gerücht bis dahin auch bei uns angekommen war: Die Enkelin der Olbachs, die kleine Emma, sei an einer Lungenentzündung gestorben, und Onkel Olbach habe sie heimlich im eigenen Garten begraben. Und zwar deshalb, weil Iván und seine Frau aus Jugoslawien nicht zurückgekommen seien, ja, das würde wohl der Grund dafür gewesen sein, den Tod der kleinen Emma zu verheimlichen, er habe bestimmt Angst um seine Stelle als Leiter der Bibliothek in Budapest, weil nun alle seine Söhne das Land verlassen hätten. Oh Gott, dieses arme Mädchen! Das Flachland verstand nicht, wie man heutzutage so etwas verheimlichen konnte. Man hatte den ehemaligen Allgemeinarzt unter Verdacht, ein schönes Sümmchen von Onkel Olbach erhalten zu haben, um die Sache vorm Gesundheitsamt zu vertuschen – das konnte ja wohl kein Zufall sein, dass der Arzt gerade jetzt von Nyék weggezogen war. Außerdem war er bloß Zahnarzt!
    Nun bekamen Mutter und Vater doch einen Schreck, da das Gerücht in vielerlei Hinsicht mit dem Inhalt des Briefes übereinstimmte. Sie wussten natürlich, dass der Ausgangspunkt des Gerüchts nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte, da Emma wieder gesund war, das wussten sie ja am besten, allerdings fanden sie es schon verdächtig, dass die Olbachs das Mädchen offenbar vollkommen vor den Augen der neugierigen Flachländer versteckt hielten. Vielleicht hatte der Zahnarzt ja recht, und sie waren verrückt geworden. Und es war auch möglich, dass in diesem Augenblick wirklich niemand so viel über Emma wusste wie wir.
    Das war in der Tat ein Problem. Als wir schon im Bett waren, sprachen Mutter und Vater mit gedämpften Stimmen darüber. Abende lang. Sie berieten sich, was sie in dieser Situation unternehmen sollten, ja, ob sie überhaupt etwas unternehmen sollten. Schließlich hatten wir mit diesen Olbachs überhaupt nichts zu tun, mit ihren Erziehungsprinzipien erst recht nicht, wir hatten sie durch Zufall kennengelernt, wie kämen wir also

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