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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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einem unmöglichen Zeitpunkt, nach einer mehr als merkwürdigen Szene gekommen, wodurch Gerda also einen kleinen Einblick in einen geheimen Winkel von Vaters Leben bekommen hatte. Gab es denn danach noch etwas zu bereden?
    „Wird die Hexe nicht zurückkommen?“
    Vater schüttelte den Kopf.
    „Ach was. Die Frage ist nur, wie du jetzt nach Hause kommst. Ich kann dich nicht begleiten. Weißt du was, nimm doch mein Rad.“
    Vaters Fahrrad stand an das Pförtnerhäuschen gelehnt. Es war die Lösung schlechthin.
    „Und wird sie nicht die Polizei rufen?“
    „Das soll sie mal versuchen. Na, Gerdilein, schnapp dir das Rad und pass gut auf dich auf. Du bist wirklich goldig, dass du dir Sorgen machst.“
    Er drückte Gerda das Lenkrad in die Hand.
    „Also, wenn ich etwas nicht bin, dann goldig.“
    Gerda riss sich zusammen. Sie holte tief Luft. Klingelte mit der Fahrradklingel. Dann erzählte sie die große Nachricht.
    „Vater, was würdest du sagen, wenn du eine Dienstwohnung in der Burg bekommen würdest?“
    „Weshalb sollte ich eine Dienstwohnung in der Burg bekommen?“
    „Pass auf: Stell dir vor, ...“, begann Gerda stolz, „ es ist noch nicht sicher, aber Onkel Olbach hat versprochen nachzuschauen, was machbar ist. Zumindest will er es versuchen. Der eine Pförtner der Korvin Bibliothek geht jetzt in Rente, und wir könnten vielleicht in seine Wohnung ziehen. Denn die Korvin Bibliothek, oder das Institut für die Herausgabe von Enzyklopädien, zieht jetzt in die Burg, irgendeine von beiden, ich weiß nicht genau, ist aber eigentlich auch egal. Onkel Olbach verabschiedet sich ebenfalls, und noch viele andere gehen in Rente … Es wird sich einiges verändern, das ist sicher, also ist es die Gelegenheit.“
    „Nur bin ich kein Pförtner“, sagte Vater und zwang sich ruhig zu bleiben. Damit meinte er die herkömmliche Bedeutung des Wortes „Pförtner“, aber auch die symbolische. Gerda wollte nun bereits aufs Wesentliche zu sprechen kommen und bezog sich gleich auf Letztere. Vater war einfach eitel. Damit hatte sie auch gerechnet.
    „Natürlich bist du kein Pförtner“, sagte sie rasch. „Wo kämen wir denn da hin. Onkel Olbach weiß auch, dass es sich dabei nur um eine Übergangslösung handeln würde. Das wäre ja gerade deshalb gut, weil du dann tagsüber Zeit hättest … Du könntest endlich etwas anderes machen.“
    Vater fragte nicht, was. Er wusste von Mutter, dass Gerda ans Lernen dachte, weil sie wollte, dass er in seinem Alter noch ein Medizinstudium begann. Er war aber jetzt schon zu müde, um über solche Dummheiten zu diskutieren. Er entschied sich lieber wieder für den vorwurfsvollen Ton.
    „Ihr habt sie also doch besucht. Habt es kaum erwarten können, dass ich einen Fuß vor die Haustür setze.“
    Gerda klingelte wieder.
    „Wir haben nur Tomi zu Tante Mara begleitet“, sagte sie. „Er wollte sie begießen. Du weißt, wie hin und weg er von Emma ist … er war schon den ganzen Vormittag so aufgedreht, wollte vorbeigehen, weil er hoffte, sie wäre da. Er ist völlig in sie verknallt.“
    „Ich hätte darauf wetten können, dass ihr hingeht“, sagte Vater spitz. Er ließ sich nicht von der Kränkung ablenken, dass die Familie hinter seinem Rücken wieder die Lehenssteuer bei den Olbachs abgeliefert hatte. Er dachte dabei nur an die paar Tropfen Parfüm, von der Osterplatte erfuhr er nie, aber das schlechte Gewissen ließ Gerda auch so verstummen: Mutter und sie hatten Vater diesmal wirklich hintergangen. Vater hatte nun einen Vorsprung, verhielt sich aber sportlich und tobte nicht. Er schüttelte nur bestimmt den Kopf.
    „Für eine Stelle in der Korvin Bibliothek muss man politisch tragbar sein, Gerda.“
    „Wieso, hierfür etwa nicht?“, fragte Gerda.
    „Mach keine Scherze. Für diese Bruchbude?“, erwiderte Vater und deutete auf die Konservenfabrik. „Die zählt doch überhaupt nicht. Das ist nicht einmal eine Fabrik. Das ist ein Nebenbetrieb. Und selbst das ist ein Wunder, dass man mich hier genommen hat. Siehst du, das zum Beispiel ist wirklich ein Wunder.“
    Vater hatte in diesem Land überhaupt keine Zukunft. Wie er manchmal, wenn er gute Laune hatte, sagte, sei seine Zukunft
beruhigend aussichtslos
. Zunächst schon mal deshalb, weil er in der Revolution von 1956 mehrere Dutzend Verletzte aus der Feuerlinie gerettet hatte, was zwar eine schöne und lobenswerte Tat war, nur bestand aus innenpolitischer Sicht das Problem, dass wichtige Details, wie so oft, leider verloren

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