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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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rächte sich jetzt.
    „Hör zu, Vater, so kann es nicht weitergehen“, sagte Gerda bestimmt, jedoch mit der Absicht, ihre Stimme mit so viel Wärme wie möglich aufzuladen und jeden Groll zu unterdrücken. „Wir müssen etwas unternehmen. Wir müssen einfach.“
    „Was soll das heißen:
so
?“, fragte Vater aufbrausend. „Was meinst du damit,
so
kann es nicht weitergehen? Und wie soll ich bitte
es
verstehen?“
    Gerda schluckte. Hätte sie ihre völlig widersprüchlichen Wünsche aufzählen sollen? Dass sie Nyék hasste wie die Pest und sich nichts sehnlicher wünschte, als endlich in Budapest zu studieren? Dass sie Jungfrau bleiben und Seherin werden wollte? Und Fotoreporterin? Dass Erika und sie immer gemeinsam weinten, wenn sie einen Roman von Balzac gelesen oder einen westdeutschen Krimi, der in den Kreisen der Münchner Elite spielte, gesehen hatten? Dass sie gerne verlottern, mit einem Jungen in den Abgrund tanzen und mit dem Auto irgendwohin weit weg fahren würde, um schließlich geläutert aus dem Ganzen hervorzugehen? Mit Herzen spielen, den Herzen von schönen Jungen, Mädchen, Regisseuren und geheimnisvollen Fremden aus dem Ausland? Der verdorbenen, erschöpften und desillusionierten Budapester Elite? Gemein und fatal? Einen bezaubernden jungen Dichter vorm Selbstmord retten? Ein Hippie sein und trotzdem jeden Tag duschen? Dem Gymnasium von Nyék, samt seinem
ganz passablen Niveau
und seiner Klasse für Stenografie und Maschinenschrift endlich den Rücken kehren? In Nyék keine andere Spur hinterlassen als die Erinnerung, dass sie dieses wunderschöne, verrückte Mädchen gewesen sei? Dass sie auch an der
Großen Geschichte
teilhaben wollte wie die kleine Emma Olbach, die als Rotzgöre von dreizehn Jahren in einer echten Levi’s Jeans von einem Farbfoto herunterlächelte, das auf dem Fernseher ihrer Großeltern stand?
    Vor Verlegenheit klingelte Gerda noch einmal.
    „Zuerst musst du endlich mit dem Medizinstudium beginnen“, sagte sie leise. „Natürlich im Fernstudium. Und fang gar nicht erst damit an, dass es zu spät sei, das ist es nämlich nicht. János Balogh war zum Beispiel fünfzig, als er zu seiner ersten Forschungsreise ins Amazonasbecken aufbrach. Im Vergleich zu ihm bist du jung.“
    „Du würdest gerne ins Amazonasbecken fahren? Das hast du noch nie gesagt.“
    „Tu nicht so. Nicht ich. Du! Eingeborene heilen.“
    „Ich?“, fragte Vater, und die Enthüllung entlockte ihm ein verlegenes Lachen. „Wie kommst du denn darauf?“
    „Hat mir Mutter erzählt.“
    „Und was hat sie den Olbachs erzählt?“
    Gerda stöhnte.
    „Es ging um meine Aufnahmeprüfung. Was dagegen?“
    „Darauf hätte ich …“, sagte Vater, brach den Satz jedoch ab, weil ihm noch rechtzeitig auffiel, dass er sich selbst wiederholte. „Ihr seid also in einer schönen, geschlossenen Reihe zu Onkel Olbach gepilgert, um ihn um Unterstützung anzubetteln.“ Er schüttelte den Kopf. „Also ich erkenne deine Mutter nicht wieder. Früher war sie nicht so.“
    „Nicht wie? Mein Gott, Vater, wie war sie nicht?“
    „Früher hatte sie Würde“, wollte er sagen, sagte es aber nicht, da Mutter recht hatte. Eine Chance muss man ergreifen. Er wollte nicht ungerecht sein. Also winkte er nur ungeduldig ab.
    „Wie seid ihr auf die Dienstwohnung zu sprechen gekommen?“
    „Das hat Tante Mara gesagt.“
    „Du hast gesagt, du hast es angesprochen.“
    „Nein, ich habe nur … geflunkert, dass du auch gerne mitgekommen wärst, aber arbeiten musstest. Daraufhin sagte sie, ich weiß, mein Kind, euer Vater ist schon immer mein
Sweetheart
gewesen, und dann ging sie mit Tomi in die Küche, um ihm statt eines Ostereis eine Orange für dich mitzuschicken. Aber ich glaube, sie wollte nur Tomi aus dem Zimmer holen, damit Onkel Olbach, Mutter und ich uns in Ruhe unterhalten konnten.“
    „Aber worüber?! Du hast gerade gesagt, dass das Wohnungs-Thema noch gar nicht angesprochen worden war.“
    „Ja, aber Tante Mara hatte es angedeutet. Bevor sie in die Küche gingen, sagte sie: ‚Endre, mein Lieber, hast du nicht gesagt, dass Öcsi in Rente gehen will?’ Und das sagte sie mit so viel Nachdruck, dass man hätte echt begriffsstutzig sein müssen, um es nicht zu verstehen.“
    „Und was hat er daraufhin gesagt?“
    „Er wartete, bis sie hinausgegangen waren und fragte Mutter, was sie denke, was du von so einer Lösung halten würdest.“
    „Und was hat sie gesagt?“
    „Dass sie es gar nicht so recht wisse.“
    „Ach,

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