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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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gingen, und am Ende hieß es nur noch, Vater habe an der
Konterrevolution
teilgenommen. Die Heldenhaftigkeit, mit der er Leben rettete, war allein noch kein ausreichender Grund, ihn zum Medizinstudium zuzulassen, schon gar nicht, wenn man ihn als politisch nicht vertrauenswürdig einstufte. Wenn das das einzige Problem gewesen wäre, hätte Vater vielleicht sogar versucht, einen Studienplatz zu bekommen, denn die Sache wäre nicht
beruhigend aussichtslos
gewesen, man konnte ja nie wissen, und Wunder geschahen immer wieder.
Beruhigend aussichtslos
wurde die Lage erst dadurch, dass Vater in den Wochen nach der Revolution noch ein Leben rettete. Das eines ehemaligen Klassenkameraden, der später in den USA, angeblich bei der NASA, ein genialer Forscher wurde, damals aber vor allem ein besessener, halsstarriger Idiot war. Sein Leben rettete Vater, weil er ihn davon abbrachte, den ersten Sekretär der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (USAP) zu ermorden. Wochenlang hielt dieser Freund dann Vater seine Feigheit vor, um dann, im letzten Augenblick bevor die Grenzen geschlossen wurden, selbst das Land zu verlassen. Damals wussten jedoch schon zu viele von dem irrsinnigen Plan, weshalb Vater für ein halbes Jahr interniert wurde und froh sein konnte, mit dieser Strafe davongekommen zu sein. Das Studium konnte er danach natürlich vergessen. Das tat er auch. Er bewarb sich nicht einmal. Die Sache war eben
beruhigend aussichtslos
geworden.
    „Stell dir vor, wir könnten in der Burg wohnen“, sagte Gerda begeistert.
    „Das stelle ich mir vor“, sagte Vater gereizt. „Und was hat sie zu den Olbachs über mich gesagt?“
    „Mutter? Nichts Besonderes. Sie hat das Problem ja gar nicht angesprochen.“
    „Aha, das war also ein Problem, das angesprochen werden musste.“
    „Nein, es wurde gar nicht viel Tamtam darum gemacht. Tomi hat es zum Beispiel gar nicht mitbekommen, er und Tante Mara sind in der Küche gewesen.“
    „Und wer hat das Problem angesprochen?“
    „Ich“, sagte Gerda, die Sünde des Problemansprechens auf sich nehmend.
    Gerda hatte nur vage Ahnungen, was Vaters Vergangenheit betraf. Dafür konnte sie aber nichts. Er hatte den Fehler begangen, als er und Mutter an dem Abend nach ihrer Hochzeit sich gegenseitig ihr Leben erzählten. Sie hatten sich kennengelernt und schon kurz darauf geheiratet. Die Ereignisse von 1956 hob sich Vater für den Schluss auf, weil er in Mutters Augen noch ein ganz klein wenig bescheidener wirken wollte, als er es eigentlich war, aber wirklich nur ein ganz klein wenig. Als er das Thema dann ansprach, war Mutter jedoch schon beinah eingeschlafen. Wichtige Details gingen, wie so oft, leider verloren, und als Vater später ganz selten mal eine Andeutung zu dieser Geschichte machte, traute sie sich nicht, ihn zu bitten, sie noch einmal zu erzählen. Und anderen erzählte Vater nicht davon, was er 1956 gemacht hatte, weil alle anderen zu einer der folgenden drei Gruppen gehörten: 1. die sowieso Bescheid wussten, 2. die das Land verlassen hatten, 3. mit denen man lieber nicht darüber sprach. Also erfuhr Mutter nie das Ende der Geschichte. Noch komplizierter wurde die Sache dadurch, dass Vater Mutter damals gebeten hatte, das Erzählen der Ereignisse des Aufstands von 1956 ihm zu überlassen. Mutter versprach ihm das auch und nahm sich sogleich vor, genau aufzupassen, wenn Vater mit den Kindern darüber sprechen würde, wodurch sie ihre Versäumnisse nachholen könnte. Jahre vergingen, wir drei wurden geboren, aber Vater sprach nie mit uns darüber. Anfänglich, weil es für alle besser war, wenn wir nichts ausplappern konnten, und als wir dann größer wurden und darauf achten konnten, worüber wir sprachen, wäre es ihm vor uns genauso peinlich gewesen, damit anzugeben wie damals vor Mutter. Er wartete. Hin und wieder machte er natürlich eine Andeutung. In Wirklichkeit dachte er, dass Mutter Erika, Gerda und auch mir insgeheim doch alles erzählt hatte, ja, eigentlich war es das, was er wollte. Wenn er ganz ehrlich mit sich gewesen wäre, hätte er sich eingestehen müssen, dass er Mutter gerade deshalb verboten hatte, mit uns darüber zu reden, damit sie ihr Versprechen brechen konnte. Grob vereinfacht gesagt, hätte er gerade darin, wenn Mutter ihr Versprechen gebrochen hätte, einen Beweis ihrer Liebe gesehen. Mutter, die Arme, hatte das jedoch nicht erkannt und dachte, sie liebe Vater dann auf die richtige Art, wenn sie das Versprechen hielt.
    Diese Falscheinschätzung

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