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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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Ärztliche Bescheinigungen werden akzeptiert. Jetzt sind Sie da hinten dran.“
    „István Mágor.“
    „Zsuzsa Madarász.“
    Patai machte sich neben jedem Namen auf der Liste eine Notiz. Er fängt von hinten an, dachte ich. Dann bin ich der Siebente. Wenigstens werde ich es hinter mir haben. Attila Halász war, so wie Patai es erwartete, mit dem Heroismus des Strebers losgelaufen, um die zu holen, die blau machten. István Mágor und Zsuzsa Madarász taten ihm nach.
    „Judit Mirza.“
    „Judit Heves.“
    „Judit Rusznyák.“
    Jetzt war ich dran.
    „Ich bin Tamás Krizsán.“
    „Sie müssen uns das Verb
sein
nicht konjugieren, Herr Krizsán. Tamás Krizsán. Das reicht. Noch nicht setzen, umdrehen. Zeigen Sie sich. Gut so. Sie dürfen sich setzen. Warten Sie, Kollege, noch eine Frage: Haben Sie nicht zufällig Bekannte, die gerne in die Kneipe gehen?“
    „Ich glaube nicht.“
    „Glauben Sie es nicht, oder wissen Sie es nicht?“
    Er bedeutete mir mit einem Wink, mich zu setzen. Die Vorstellungsrunde lief weiter.
    „Er provoziert dich“, sagte ein massiger, blonder Junge neben mir, nachdem er sich mit dem Namen Mihály Bárány vorgestellt hatte; um den Hals trug er ein großes Kreuz. „Verfluchter Bolschewist. Sei vorsichtig mit ihm.“
    Er war auch nicht aufgesprungen, um den anderen Bescheid zu sagen.
    „Mit meiner heutigen Vorlesung möchte ich Ihnen einen Schuss vor den Bug geben. Ihnen den jugendlichen Dünkel von den Visagen wischen. Lassen Sie das, Sie müssen Ihre Gesichtszüge nicht ordnen, das bringt nichts. Mich können Sie ohnehin nicht täuschen, außerdem können Sie nichts dafür. Sie sind für nichts verantwortlich. Das sollten Sie sich, meine hochgeschätzten Hörer, mit großen Buchstaben notieren: Wir sind für nichts verantwortlich. Haben Sie es? Dann unterstreichen Sie es. Zweimal. Sie sind für nichts verantwortlich, sage ich, aber nicht nur Sie. Ich ebenfalls nicht, auch wenn Sie mir das nicht glauben werden. In einer Stunde werde ich mich in meinen Dienstwagen setzen, wegfahren, und Sie werden tuscheln und kichern, ‚Was war das denn, verflucht noch mal?‘ War dieser Patai etwa besoffen oder verrückt oder ist er ein Agent Provocateur? Wer ist dieser Kerl überhaupt? Sie werden sich bei den Kommilitonen aus den höheren Semestern erkundigen, sich mein Skriptum in der Hochschulbibliothek anschauen und sich über meine bisherige Laufbahn informieren. Ich sage Ihnen gleich: Sie werden Erstaunliches über mich erfahren. Ja, derart Erstaunliches, dass Sie zu Recht davon ausgehen werden, ich sei – im Gegensatz zu Ihnen – doch für das eine oder andere verantwortlich. Ich sei für vieles verantwortlich, vielleicht klebe sogar Blut an meinen Händen, sagen wir so, mich belaste eine gewisse historische Schuld. Mit anderen Worten, Sie werden mich für einen alten Schurken halten, und Sie können auch gar nicht anders. Es ist quasi zwingend, dass Sie so über mich denken. Sie wurden grob geschätzt vor zwanzig Jahren geboren, ich hingegen vor achtundsechzig Jahren, zweiunddreißig Tagen und neun Stunden. Wenn Sie nachrechnen, werden Sie sehen, dass ich zwischen den beiden Weltkriegen bereits erwachsen war, und wenn Sie so dreist sind, das Jahr meines ersten Samenergusses zu schätzen, werden Sie ungefähr das Jahr 1925 erhalten. Und es verhält sich nun einmal so, dass Sie, wenn Sie etwas im Kopf und im Herzen haben – ja, Sie haben richtig gehört: auch im Herzen! Das Herz ist ein wichtiges Organ –, Verdacht gegen meine Generation hegen müssen, so wie es sich für anständige junge Leute gehört. Es ist zwingend, dass Sie in mir den Repräsentanten einer mit schlimmen Gedanken verseuchten, mehrfach korrumpierten, ihr Rückgrat und andere Körperteile verlorenen Generation ansehen, allein schon deshalb, weil ich Ihnen sonst hier keine Vorlesung halten dürfte. Ich gehe davon aus, dass Sie dies über mich denken, da ich zunächst keinen Grund habe, Sie nicht für anständige junge Leute zu halten – diese Meinung hat aber natürlich nichts mit Wertschätzung zu tun.“
    Patai grinste und verstummte. Er sah sich die Gesichter seiner Studenten an. Die Arme hielt er verschränkt. Schaukelte auf dem Stuhl. Es gab keine Anzeichen dafür, dass seine Frau im Sterben lag.
    „Verfluchter Bolschewist“, sagte der große, blonde Junge wieder.
    Ich hatte ihn noch nie gesehen, aber ich kannte ohnehin niemanden. Mich kannte auch keiner. Ein Kennenlernlager war schließlich zum Kennenlernen

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