Liebe Unbekannte (German Edition)
schöner Hochstapler. Er war witzig, log viel und gerne, hatte ein schnoddriges Auftreten und ein hinterhältiges Grinsen. Er spielte stets den Clown und wollte Schauspieler werden. Mich mochte er eine Zeit lang sehr, weil ich nicht zuließ, dass wir ihn erschlugen. Dabei wollten wir ihn einmal ernsthaft erschlagen, weil er es im Traum der Reihe nach mit den Frauen von uns allen getrieben hatte. Und dann war er noch so dreist damit anzugeben! Morgens erstattete er immer grinsend darüber Bericht, wessen Frau in der Nacht an der Reihe gewesen sei. Wir kamen zusammen aus der Gefangenschaft zurück. Er war kein gut aussehender Mann, aber vergötterte die Frauen. Hatte auch zahlreiche. Nicht so viele wie sein Bruder, aber doch ausreichend viele. Nun, dieser András Patai beschloss eines Tages, der Staatssicherheitsbehörde ÁVH beizutreten. An der Schauspielschule waren die, die früher an der Offiziersschule gewesen waren, nicht besonders beliebt, also dachte sich András, er werde sich einen Dreck um die Welt scheren, dann werde er eben ein Mann der ÁVH. Und das wurde er auch, das Schwein! Später studierte er noch Jura. Und dann ging er als Radioreporter nach Korea. Kurz gesagt, er wurde für eine ganze Weile ein bedeutender Mann. Aber ich sah ihn nicht mehr. Lange wusste ich auch nichts von ihm. Ungefähr zwanzig Jahre. Er fehlte mir natürlich auch nicht.“
„Das ist also der Jüngere von beiden.“
„Genau. Vorerst bleiben wir beim Jüngeren. Irgendwann tauchte er dann wieder auf. Das war so ungefähr vor sieben oder acht Jahren. Damals habe ich noch gearbeitet, und er stand eines Tages bei mir in der Werkstatt und sagte, man werde ihn bald in der Baross Straße, die ja in der Nachbarschaft lag, operieren. Er hatte einen Hodenbruch, was mich kein bisschen wunderte. Und er war ausgesprochen stolz darauf. Er knöpfte auch gleich seine Hose auf, in der Absicht, mir seine Eier zu zeigen. Er wollte schnell den alten kumpelhaften Ton anschlagen. Es sei lange her, dass er mich das letzte Mal gesehen habe. ‚Ja, András, Alter’, sage ich zu ihm, das ist lange her!‘ “
„Also geht es immer noch um András“, stellte ich fest, um zu signalisieren, dass ich der Geschichte folgte.
„So ist es. Wie sehr er sich freue, mich zu sehen, denn er stecke in einer tiefen Krise. ‚Schon gut, András, das kommt selbst bei anständigen Menschen vor, sag, was du von mir willst.‘ Er sei sich nicht sicher, ob er die Operation überstehen werde, da man ihn einen Kopf kürzer machen wolle. Ich grinse ihn an und sage: ‚Ach, du bangst also um dein jämmerliches Leben?‘ Ja, das tue er. Und er habe auch allen Grund dazu. Man jage ihn, wolle ihn umbringen. ‚Ja, klar, András, du machst dir zu viele Sorgen, es ist nicht so schade um dich, außerdem bist du nicht so ein wichtiger Genosse. Du bist der gleiche schäbige Strizzi wie eh und je‘, sage ich, um ihn zu beruhigen. Er grinst und ist sehr dankbar, dass ich in diesem vertraulichen Ton mit ihm spreche. Aber er beneide mich, behauptet er, weil ich einfach so in meiner pobackengroßen Buchbinderei herumsitze und auf die Welt pfeife. Im Gegensatz dazu wisse er von Dingen, von denen er sehr, sehr gerne nichts wüsste. Von düsteren Angelegenheiten. ‚Na‘, sage ich daraufhin, ‚András, sei mir nicht böse, aber ich möchte von diesen düsteren Angelegenheiten noch weniger wissen als du, denn ich möchte gerne weiterhin in meiner pobackengroßen Buchbinderei herumsitzen, lass uns also lieber über Frauen reden.‘ Er beschäftige sich in letzter Zeit eher mit Männern, aber ich solle mir keine Sorgen machen, er habe nicht das Ufer gewechselt. Er habe nur aus Selbstschutz angefangen, über jeden alles aufzuschreiben, was er über ihn wisse. Das sei nicht wenig, da er den Stoff seit Jahren gesammelt und anhand dessen auch eine Liste zusammengestellt habe. Und er wolle ganz ehrlich mit mir sein und mir sagen, er sei nicht zufällig bei mir hereingeschneit, sondern weil er wolle, dass ich auch von dieser Liste wisse. Wenn ihm etwas zustoße, würde diese Liste veröffentlicht werden und zwar nicht irgendwo, sondern in der Schweiz! Und dort natürlich in Zürich, wo sonst. Er habe das alles organisiert, ich solle gar nicht fragen, wie. ‚Der Deibel wird dich nach irgendwas fragen, András‘, sage ich zu ihm, ‚zieh mich bloß nicht in deine dreckigen Geschäfte hinein.‘ Aber er hört nicht auf, sagt, er nehme alle möglichen informellen Kanäle in Anspruch, damit man an
Weitere Kostenlose Bücher