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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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müsste sie patentieren lassen, versuche du auch, ihn zu überzeugen, die Sekretärinnen würden sich darum reißen.“
    Seitdem auch Tante Judit in Rente gegangen war, saß sie in der Ecke des Wohnzimmers hinter einem falschen Rokoko-Paravent und tippte die Abschlussarbeiten der Studenten ab. Onkel Lajos war fürs Binden der Arbeiten zuständig. Er benötigte die Mütze mit den Ohrenstöpseln zum Nachdenken, weil ihn das Geräusch der Schreibmaschine störte. Meist saß er allerdings auch an der Schreibmaschine und arbeitete an seinen Memoiren. Sein Schreibtisch stand in der anderen Ecke des Wohnzimmers, hinter dem anderen Paravent.
    Nun folgte eine Flut leidenschaftlicher Fragen, Tante Judit wollte wissen, wie es Vater ging, was Mutter machte, ob der eine Woche alte kleine Balázs in Esztergom noch Windeln trug und ob ich auch der Meinung sei, dass Gerda als alte Jungfer enden würde, wenn sie so weitermache.
    Gerda war noch keine fünfundzwanzig Jahre alt, weshalb ich wieder einmal dachte, dass Tante Judit die Welt grundlegend falsch betrachtete. Onkel Lajos bestärkte mich in diesem Irrglauben, indem er Tante Judit mit jeder seiner Gesten signalisierte, dass sie auf dem Balkon nichts zu suchen habe, weil sich hier die Männer unterhielten, wir Männer jedoch keine Chance hätten, gegen sie anzukommen, weil dies eben das Schicksal der Männer sei, was im Grunde auch in Ordnung sei.
    Seine Geduld bewirkte Wunder, denn nachdem mir Tante Judit alle Fragen gestellt hatte, bat sie Onkel Lajos selbst, ihr eigenhändig und unverzüglich die Stöpsel in die Ohren zurückzustecken und forderte uns auf, sie mit mittelalterlichen Methoden zu strafen, falls sie sie bis zum Abend noch einmal herausnehmen sollte.
    „Geißelt mich, wenn ich noch einmal herauskomme. Weißt du, Tomilein, ich bin unheimlich in Verzug. Sag Onkel Lajos, er soll mich vierteilen, wenn ich mich vor dem Abendessen noch einmal blicken lasse.“
    Und sie ging in die Wohnung. Jetzt hatte sie die Stöpsel wahrscheinlich wirklich in den Ohren, weil sie nicht reagierte, als ein paar Sekunden später das Telefon klingelte. Vielleicht wollte sie es auch nur nicht hören.
    „Ihr Gehör ist absolut ohrenstöpselunabhängig“, sagte Onkel Lajos. „Wo waren wir stehen geblieben?“
    „Was ist mit der Liste passiert? Ist sie wirklich in der Schweiz gelandet?“
    „Ich habe keine Ahnung.“
    Das Telefon klingelte. Es stand auf dem Balkon. Onkel Lajos nahm den Hörer ab. Es war Mutter, die von Nyék aus anrief und sich besorgt erkundigte, wo denn Vater sei.
    Sie war nämlich aus Esztergom zurückgekommen, weil sie ihrem Schwiegersohn zwar nicht hatte zur Last fallen wollen, ihm dann aber doch zur Last gefallen war. Und im Grunde war ihr der Schwiegersohn, den sie für aggressiv hielt, auch zur Last gefallen, weshalb sie aus Esztergom abreiste, noch bevor es zu einer Szene hatte kommen können, was am Ende für Erika unangenehm geworden wäre, gleichzeitig war es jedoch auch möglich, dass ihr Schwiegersohn überhaupt nicht aggressiv war, und nur sie mit ihrem dummen Kopf das dachte, meinte Mutter. Sie wollte keine Schwierigkeiten verursachen. Deshalb sagte sie, sie wolle ihrem Schwiegersohn nicht zur Last fallen, und fahre lieber nach Hause, nach Nyék, da Vater es fertigbringe, allein nichts zu essen. „Ihr kommt ja auch ohne mich mit Balázs zurecht“, hatte sie lächelnd gesagt. Nun war sie nach Hause gekommen, und Vater war nicht da.
    „Krizsán … Halllooo, meine liebe Irén“, flüsterte Onkel Lajos. „Wer ist wo? Ich flüstere, weil sie tippt … Wenn du deinen Sohn suchst, er sitzt hier … Von wo aus rufst du an?“
    Onkel Lajos liebte es nicht nur zu telefonieren, sondern konnte es auch gut. Er telefonierte mit Schwung, immer in Bewegung, spazierte mit dem Apparat in der Hand durch die Wohnung (in dieser Hinsicht war er seiner Zeit um Jahrzehnte voraus). Er hinkte ein wenig, sprach trotzdem niemals im Sitzen. Das Telefon hatte eine vierzig Meter lange Schnur, damit man es in der ganzen Wohnung benutzen konnte, und diese musste auch nur jeden zweiten Tag von den Möbeln abgewickelt werden.
    Das Wohnzimmer war voller Möbel. Die Buchbinderei war jetzt im alten Schlafzimmer untergebracht. Deshalb stand auch das Bett im Wohnzimmer. Der optimale Ort für die Buchbinderei wäre das Dienstmädchenzimmer gewesen, aber das war Gerdas Zimmer. Gerda hatte damals von Onkel Lajos und Tante Judit nicht gerne das Opfer angenommen, bei ihnen wohnen zu dürfen,

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