Liebe Unbekannte (German Edition)
Natürlich ist es das nicht, aber du bist derjenige, der mich in einer Angelegenheit, die seiner Ansicht nach kein Telefonthema ist, zum zweiten Mal innerhalb einer halben Stunde anruft … Dann leg doch auf! … Wieso sollte ich eingeschnappt sein, wenn du auflegst … Wer? Ich? Das letzte Mal? Ich war bestimmt nicht eingeschnappt, nur waren wir gerade im Gespräch, und da legst du einfach so, mitten im Satz, auf. Du hattest keine Münzen mehr, gut, was soll ich dazu sagen, das nennt man wohl höhere Gewalt. Wenn du wenigstens gesagt hättest, Lajos, mir sind die Münzen ausgegangen, heute habe ich nicht mehr für dich eingeplant oder meinetwegen: Die Telefonzelle stinkt … Dass die Telefonzelle in Nyék stinkt, ist wohl auch schon meine Schuld?!“
Ich stellte mir Vater am anderen Ende der Leitung vor, in der Telefonzelle in Nyék. Und wie Mutter davor stand und auf ihn wartete. Sie werden sich dort getroffen haben.
Ich kannte die Telefonzelle gut, die von den vier stinkenden Telefonzellen in Nyék am penetrantesten stank. Am Ende des Sommers schien die Abendsonne zu dieser Stunde genau hinein, wodurch sogar um diese Zeit noch eine erstickende Hitze darin herrschte. Mutter würde die Tür aufhalten, damit für Vater etwas frische Luft hineingelangte. So stellte ich sie mir vor, aber ich lag falsch, da Vater zwei Straßenecken von uns entfernt in der Telefonzelle in der Molnár Straße stand. Er war mir hinterhergefahren, unterwegs befielen ihn jedoch Zweifel, ob es gut sei, wenn er jetzt auch noch aufkreuzte. Ob dadurch das Chaos nicht nur noch größer würde? Deshalb rief er, bevor er hier ankam, doch noch einmal an, wodurch das Chaos größer wurde: Er und sein Bruder gerieten sich innerhalb weniger Augenblicke in die Haare.
„Ich reite nicht auf der stinkenden Telefonzelle herum“, brüllte Onkel Lajos. „Ich weiß auch, dass die Zukunft des Jungen auf dem Spiel steht … Dann sollst du aber aufhören, in Rätseln zu sprechen. Patai ist sehr wohl ein Thema fürs Telefon. Es gibt ein ganzes Heer von Patais. Woher in aller Welt soll ich das denn wissen? Ich denke, damit hat Tamás nicht zu rechnen. Zu rechnen! Tamás! Hörst du mich schlecht? Sag mal, von wo aus rufst du eigentlich an? … Sag nicht, das sei egal, ich habe gerade einen Anruf von Irén bekommen, sie macht sich große Sorgen, wo du bist … Na, dann komm doch vorbei. Du musst mir das nicht nur androhen, komm einfach vorbei. Du bekommst ein Abendbrot, nach dem du dir alle zehn Finger ableckst und die Zehen noch dazu!“
Er legte auf. Auf seinem Gesicht erschien ein breites Lächeln, beinah Glück. Die Wut war wie weggeblasen.
„Dein Vater kommt!“, sagte er. „Stell dir vor, er lungert in einer Telefonzelle hier um die Ecke herum und kommt nicht vorbei. Hast du so was schon mal gehört? Komm, wir räumen das Essen raus. Es gibt noch ein paar Reste.“
Diese Reste, die Onkel Lajos nun aus dem Kühlschrank räumte, ergaben ein unglaubliches Festmahl. Und das an einem Montag. Ich sah ihm an, wie glücklich er über Vaters Kommen war. Er liebte ihn sehr. Vater war zum Teil von ihm großgezogen worden. Wir schlichen in die Küche, hinter dem Paravent klapperte die Schreibmaschine. Es war ein bisschen seltsam, dass Onkel Lajos’ Brüllen beim Telefongespräch diesmal offenbar überhaupt keine Wirkung auf Tante Judit gehabt hatte.
„Sie kann arbeiten, wenn sie will“, sagte Onkel Lajos anerkennend. „Wenn du leise bist, können wir auf dem Balkon den Tisch decken. Nimm sechs Teller.“
Ich war leise. Und erst recht in Erwartung eines solchen Essens! Ins Lager würde ich auch am nächsten Morgen mit dem ersten Zug zurückfahren können, dachte ich.
Offiziell kochte Gerda, wobei sie in letzter Zeit von Tante Judit vertreten wurde, dies jedoch auch nur offiziell – denn in Wirklichkeit kochte Onkel Lajos, da Tante Judit das Kochen hasste, was ihr jedoch peinlich war. Das klappte wunderbar, denn Onkel Lajos kochte sehr gern und unheimlich gut, und er hatte eine Spezialität: große Portionen. Ja, märchenhaft große Portionen.
Mit leisen, konspirativen Bewegungen stellten wir den Tisch auf den Balkon. Zumindest einen Teil, da nicht der ganze Tisch auf den Balkon passte: Die Hälfte war in der Wohnung, die andere stand jedoch draußen, wodurch sie sich ins Donaupanorama der einbrechenden Dämmerung fügte. Onkel Lajos wärmte bereits das Abendessen auf. Nein, nicht
das
, sondern
die
: Es waren mehrere, alternative Speisen, deren Düfte
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