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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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sich verlockend vermischten.
    Mit den sechs Tellern in der Hand lief ich auf Zehenspitzen unter Schreibmaschinengeklapper durchs Zimmer, aber vergeblich: Tante Judit lauschte. Sie hatte wohl seit einer ganzen Weile nur noch als Tarnung auf die Schreibmaschine gehämmert. Dabei war ihre Aufmerksamkeit jedoch auf das Geschehen auf der anderen Seite des Paravents gerichtet. Und nun sprang sie hinter diesem hervor.
    „Pst“, flüsterte sie. „Tomilein, du darfst nicht auf Onkel Lajos hören. Egal, was er sagt, hör auf keinen Fall auf ihn. Gott bewahre, dass man dich ins Gefängnis sperrt, zwischen all die Kriminellen. Hör nicht auf ihn!“
    Sie drückte mir zwei erschrockene Küsse auf die Wangen und wollte schon in ihren Schlupfwinkel zurückhuschen, aber Onkel Lajos war auf der Hut. Er kam aus der Küche gerannt.
    „Du musst ihm gar keine Ratschläge geben, ihn nicht gegen mich aufwiegeln.“
    „Ich gebe keine Ratschläge und wiegele niemanden auf, Onkel Lajos, ich habe nur gehört, was ich gehört habe …“
    „Und was hast du gehört?“, sagte Onkel Lajos in einem bereits sanfteren Ton, da er nun wusste, dass es sich um ein Missverständnis handelte. Beide kannten die Gedanken des jeweils anderen und liebten Missverständnisse.
    „Worüber du mit deinem Bruder am Telefon gesprochen hast.“
    „Worüber habe ich denn mit meinem Bruder am Telefon gesprochen?“
    „Dass Tomilein sich an Patai rächen soll. Aber so etwas darf man nicht einmal sagen, Onkel Lajos, die jungen Leute nehmen alles ernst.“
    „Ich soll das gesagt haben?“, fragte mich Onkel Lajos. „Kannst du dich daran erinnern, dass ich so etwas gesagt habe?“ Er wandte sich wieder an Tante Judit: „Ich glaube, du hast schon wieder etwas falsch verstanden.“
    „Nein, genau das hast du gesagt.“
    „Und du hast schon wieder gelauscht.“
    „Ich habe nur die Ohrenstöpsel herausgenommen und gehört, wie du sagtest, dass Tomilein sich an Patai zu rächen hat. Im Namen der Familie. Aber Onkel Lajos, man wird ihn einsperren oder erhängen! Das kannst du doch nicht von ihm erwarten.“
    Onkel Lajos sah mich ratlos an.
    „Habe ich so etwas gesagt?“
    „Du hast wortwörtlich gesagt:
darum hat Tomilein sich zu rächen
.“
    „Ich würde ihn nie im Leben Tomilein nennen. Du nennst ihn Tomilein.“
    „Als würde das einen Unterschied machen. Auf jeden Fall hast du gesagt, er hat sich zu rächen.“
    „Onkel Lajos hat gesagt, ich hätte mit irgendetwas nicht zu rechnen. Vielleicht hast du ja das falsch verstanden.“
    „Hörst du?“, sprang Onkel Lajos gleich darauf an. „Das ist es. Das ist des Rätsels Lösung. Ich habe gesagt, damit hat Tamás nicht zu rechnen. Und nicht, dass er sich zu rächen hat.“
    „Womit hat er nicht zu rechnen?“
    „Egal. Marsch, schnell zurück zur Schreibmaschine, sonst müssen wir dich noch vierteilen.“
    „Lasst mir vom Kartoffelpüree mit den gedünsteten Zwiebeln bitte zwei Happen übrig“, sagte Tante Judit, überraschenderweise ohne weitere Fragen zu stellen, und verschwand, mit Ausnahme ihrer Stimme, hinterm Paravent. „Für morgen früh! Und stellt für mich keinen Teller hin. Bringt mich nicht in Versuchung.“
    Sie machte eine Diät und durfte nach der Mittagsmahlzeit nichts mehr essen.
    Von dem lustigen Verhörer, dem Duft des Kartoffelpürees mit Zwiebeln und davon, dass Vater gleich kommen würde, bekam Onkel Lajos noch bessere Laune. Er war aufgekratzt, wie ein Kind. Er liebte Vater wirklich sehr. Und nach dem Prinzip der positiven Rückkopplung, bekam er von der Freude noch mehr Appetit. Als Vater ankam, empfing ihn Onkel Lajos, als hätten sie am Telefon kein einziges wütendes Wort miteinander gewechselt. Er hatte sich an die Eingangstür gestellt, damit Vater nicht läutete. Damals läutete man in Budapest noch unmittelbar an den Wohnungstüren. Die Mietshäuser standen Tag und Nacht offen, man hatte sich noch nicht hinter Toren mit Magnetschlössern verschanzt wie später, als die Zeit der Freiheit angebrochen war.
    „Pst“, sagte er und deutete in Tante Judits Richtung. „Sie tippt.“
    Vater verstand. Auf Zehenspitzen schlichen wir durchs Wohnzimmer.
    Die Aussicht auf ein schmackhaftes Abendessen machte auch Vater gute Laune. Nun konnten wir uns dem Thema
Patai
mit neuer Kraft widmen. Wir setzten uns an den Tisch. Jetzt würden wir ein paar Minuten zu dritt haben.
    „Na, was sagst du dazu, Lajos?“, fragte Vater besorgt, seine Stimme verriet jedoch eine gesunde Abenteuerlust;

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