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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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er sprach, als befände er sich in einem Kriegsrat, in dem eine Lage besprochen werden sollte, in der es Hoffnung auf einen Sieg gab.
    „Wozu sage ich was?“, fragte Onkel Lajos, da ihm nicht gefiel, dass Vater es war, der den Grundton des Kriegsrats angeschlagen hatte.
    „Na, zu diesem Schurken? Was zur Hölle soll der Junge denn jetzt machen?“
    „Nichts. Er ist ein lächerlicher Versager. Man muss sich wegen ihm nicht in die Hosen machen.“
    Vater war verdutzt. Er war sich sicher gewesen, dass Onkel Lajos von Patais Auftauchen ganz begeistert sein würde, ja, er war vor allem deshalb hergekommen, um die Freude seines Bruders zu sehen. Patai war sein Geschenk an Onkel Lajos, denn er liebte ihn auch.
    „Keiner macht sich hier in die Hosen. Ich habe dich nur nach deiner Meinung gefragt.“
    „Das ist meine Meinung. Er ist eine politische Leiche.“
    Eine Belehrung hatte Vater nicht nötig. Er war nicht nur deshalb von Nyék nach Budapest gekommen, weil er sehen wollte, wie sich sein Bruder freute, sondern auch wegen der Familienordnung, nach der sie ja das väterliche Erbe, die Welt, unter sich aufgeteilt hatten, indem Onkel Lajos Vater die gesamte Natur überließ (wobei ich von heute aus betrachtet eher sagen würde: ihm aufdrückte) und sich selbst mit der Gesellschaft zufriedengab. Vater befragte ihn nun in diesem Sinne nach seiner Meinung, da das
Patai-Problem
doch eher in den Bereich „Gesellschaft“ gehörte. (Ganz unabhängig davon, dass Onkel Lajos wegen Patai tatsächlich beinah gehängt worden wäre.) Und was machte Onkel Lajos? Er hielt sich wieder einmal nicht an die Abmachung. Statt als Familienmitglied, Patai-Fachmann und Hauptverantwortlicher für die Beantwortung gesellschaftlicher Fragen innerhalb der Familie Stellung zu nehmen, bezeichnete er Vater und mich als Angsthasen; das war ihm offenbar wichtiger als das Problem selbst. Natürlich wusste auch Vater, dass es sich hier ganz einfach um ein Machtspielchen handelte, denn hätte Onkel Lajos das Thema
Patai
angeschnitten, wäre die Krisensitzung bereits in vollem Gange. Dennoch ärgerte es ihn.
    „Ach so, wenn dir das Ganze so gar nicht wichtig ist“, sagte er verschnupft, „müssen wir nicht darüber reden.“
    „Warum zum Teufel sollte es mir nicht wichtig sein?“
    „Dann verstehe ich dich nicht, Lajos.“
    „Aber ich verstehe dich“, sagte Onkel Lajos in einem noch sanfteren Ton. „Dich beschäftigt die Frage, wie sich dein Sohn an der Hochschule benehmen soll. Diese ist absolut berechtigt. Wenn du mich fragst, kann ich dazu jedoch nicht mehr sagen, als dass er sich benehmen soll, wie er will. Er soll nur nicht allzu sehr auffallen. Und er soll nicht versuchen, sich an Patai zu rächen. Das wäre Blödsinn.“
    „Was meinst du mit ‚rächen‘?“, fragte Vater überrascht.
    „Das war nur ein Beispiel. Du musst nicht gleich in die Luft gehen.“
    „Ein ziemlich bescheuertes Beispiel.“
    „Wenn wir schon dabei sind: Es ist überhaupt kein bescheuertes Beispiel. Als ich vorhin mit dir telefoniert habe, hat Judit etwas falsch verstanden, was deinen Sohn und mich nachdenklich gemacht und unsere Aufmerksamkeit auf ein interessantes Phänomen gelenkt hat.“
    Vater sah mich an. Ich zuckte mit den Schultern und bedeutete ihm, Onkel Lajos ausreden zu lassen.
    „Sie dachte, ich hätte am Telefon zu dir gesagt, Tamás müsse sich an Patai rächen. Aber das ist Quatsch. Niemand erwartet das von ihm.“
    „Was für ein Glück“, sagte Vater mit einem ironischen Lächeln.
    „Warte, warte. Ich bin noch nicht fertig.“
    „Was gibt es da fertig zu erzählen? Es ist wirklich Quatsch.“
    „Vielleicht, aber dir wird es auch nicht schaden, wenn du mich einmal im Leben ausreden lässt. Du hast Judits Intuition nie ernst genommen, dabei ist sie eine durchaus produktive Missversteherin. Ich habe keine Ahnung, wie sie es macht, aber sie hört aus allem genau das Wesentliche heraus“, sagte Onkel Lajos. „Nur leise, sonst erscheint sie wieder leibhaftig, bevor es an der Zeit wäre. Sie hat uns also auf etwas sehr Interessantes aufmerksam gemacht.“
    „Das kann ich mir vorstellen“, sagte Vater.
    „Mach dich ruhig über uns lustig. Sie hat uns, oder zumindest mich, auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass ich, aber auch du, mein Lieber, ja, dass wir in der Vergangenheit leben. Wir müssen besonders darauf achten, was wir den jungen Leuten sagen. Zum Beispiel in diesem Fall. Wenn wir nicht aufpassen, setzen wir ihm den Floh ins Ohr,

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