Liebe und andere Parasiten
ist, wie es ist«, sagte Jane. »Lazz ist bei Teen Makeover ein für alle Mal draußen. Darüber gibt es nichts mehr zu diskutieren. Die Frage ist, was aus der Sendung selbst wird.«
Ritchie wartete, dass Jane fortfuhr. Er fragte sich, ob sie lesbisch war. Ihr Selbstvertrauen beeindruckte ihn. Konnte er ihr einen Job anbieten? Doch sie um sich zu haben wäre mörderisch. Sie kam ihm vor wie eine, die auf alle anderen herabsah, nicht wegen irgendwelcher Leistungen im Studium oder im Erwachsenenleben, sondern weil sie mit elf Jahren die Aufnahmeprüfung für irgendeine Londoner Streberschule geschafft hatte.
»Alle wollen, dass die Sendung weitergeführt wird«, sagte Jane. »Es sei denn, Sie wären der Ansicht, dass mit dem Verlust von Lazz das Herzstück der Sendung weg ist.«
»Wir sind natürlich untröstlich«, sagte Ritchie. »Aber selbst der strahlendste Stern lässt sich ersetzen.«
»Ich gehe«, sagte Midge. Er stand auf, aber Jane bat ihn zu bleiben, und er trat zur Seite und lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand.
»Gut«, sagte Jane. »Dazu wird es später eine Sitzung geben. Wir werden uns das Format noch mal genau anschauen. Es muss Ihnen nur klar sein, dass es keine zweite Chance gibt. Wenn so etwas noch einmal vorkommt, ist es aus.«
Ritchie nickte energisch.
»Wenigstens ist Lazz nicht beim Rummachen mit einer der Teenies erwischt worden«, sagte Midge.
»Haben Sie Grund zu der Annahme, dass so etwas vorgekommen ist?«, sagte Jane. »Oder war das ein Witz? Finden Sie den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen etwa witzig? Oder Sie, Ritchie?«
Ritchie machte beschwichtigende Handbewegungen und sagte, man solle Ruhe bewahren.
»Ich nehme an, dass die Moral Foundation dahintersteht«, sagte Jane. Sie beugte sich beim Reden vor und drückte ihr rechtes Fußgelenk. Es ließ sie kleinmädchenhaft erscheinen.
»Bitte starren Sie nicht auf meine Beine, wenn ich Ihnen eine Frage stelle«, sagte Jane. »Haben Sie jemals einen Anruf von der Stiftung bekommen?«
»Nein«, sagte Ritchie.
»Gut. Falls das geschieht, hätten wir gern, dass Sie uns darüber in Kenntnis setzen. Aber es ist interessant, nicht wahr? Lange halten kann sich das nicht. Sie machen nur den Namen von Leuten schlecht. Dafür sind sie auf die Kraft der alten Medien angewiesen, den Leuten erst einmal einen guten Namen zu machen.«
»Was ist daran so interessant?«, sagte Midge. Ritchie staunte, dass er so unwirsch war, wo er doch damit rechnen musste, eines Tages vom guten Willen dieser Frau abzuhängen. Doch Midges Verstocktheit beflügelte Jane.
»Die Moral Foundation ist nur für Menschen eine Bedrohung, die etwas Unrechtes getan haben«, sagte Jane.
»Jetzt haben wir also einen moralischen Polizeistaat«, sagte Midge. »Eine Kamera in jedem Schlafzimmer, aber solange man sich an die Missionarsstellung hält, hat man nichts zu befürchten. Was ist mit dem Schauspieler, den sie vorige Woche angeprangert haben, weil er seine Freundin betrogen hatte? Wieso geht das irgendjemanden was an außer die beiden?«
»Er hat seiner Freundin vorgelogen, er wäre ihr treu«, sagte Jane. »Deshalb spricht man von Betrügen.«
»Tagtäglich betrügen sich in diesem Land Millionen von Männern und Frauen, und niemand kümmert sich drum.«
»Es sollte sich aber jemand drum kümmern«, sagte Jane. »Ob sich jemand drum kümmert oder nicht, unrecht ist es so oder so, nicht wahr?«
Midges Unterkiefer arbeitete. »Kommt mir vor, als hörte ich die zukünftige Obermatrone der britischen Tugendpolizei reden«, sagte er.
»Ich glaube nicht, dass ich dafür taugen würde«, sagte Jane. »Ich würde eine unpassende Bemerkung machen, und jemand würde mich melden. Läuft das in Polizeistaaten nicht so? Leute foltern und freikaufen ist nicht alles, soweit ich das verstehe. Werden die meisten Dissidenten nicht deswegen geschnappt, weil man die Schwindler und Betrüger und Drogensüchtigen erpresst, sodass die ihre Freunde verpfeifen? Ich denke, das ist das eigentlich Interessante an der Moral Foundation. Sie belohnt Leute, die ihre Freunde denunzieren. Das ist nicht sehr moralisch, nicht wahr? Ritchie, ich hätte nie gedacht, dass Sie so ein guter Zuhörer sind.«
Ritchie erklärte, er müsse jetzt gehen.
54
Ohne jemandem etwas zu sagen, fuhr Bec eines Morgens in aller Frühe zu einem Literaturfestival nach Cardiff. Sie zitterte vor Aufregung. Ein paar Kilometer westlich von Bristol hing sie würgend über dem stinkenden Becken der
Weitere Kostenlose Bücher