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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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meinetwegen seinen Film mit Ihnen nicht machen kann. Es ist nur so, dass ich mir nicht sicher bin, was es heißt, Ihnen zu vergeben. Sie haben mich schließlich nicht gebeten, Ihnen zu vergeben.«
    O’Donabháin schüttelte den Kopf, ohne den Blick von ihr abzuwenden.
    »Und ich werde Ihnen nicht sagen, dass es ganz in Ordnung war, was Sie getan haben. Dass es verständlich war. Ich kann überhaupt nur deshalb hier sitzen, weil das, was Sie getan haben, so grausam war, dass ich es mir nicht einmal vorstellen kann.« Unwillkürlich kratzte sie sich an den Narben am Handgelenk, und O’Donabháin guckte weg.
    »Vergebung ist für mich etwas anderes als für Ritchie«, sagte Bec. »Er hat viel über Sie nachgedacht. Ich glaube, für ihn bedeutet Vergebung, sich nicht mehr rächen zu wollen. Ich habe nach dem Prozess nie wieder an Sie gedacht, erst als er damit anfing. Für mich bedeutet Vergebung, überhaupt an Sie zu denken. Es bedeutet zu akzeptieren, dass Sie bestraft wurden und nicht mehr bestraft werden müssen. Können Sie damit etwas anfangen?«
    O’Donabháin nickte.
    »Ich will Ihre Reue nicht«, sagte Bec. »Ich will Ihre Buße nicht. Ich will, dass Sie wissen, dass Ihr Freisein mir nichts ausmacht. Ist das Vergebung? Wenn ja, können Sie sie haben.«
    O’Donabháin zuckte die Achseln.
    »Sagen Sie doch was«, sagte Bec, plötzlich verärgert von seinem Schweigen.
    »Ich nehm’s«, sagte er.
    »Lesen Sie mir dieses eine Gedicht vor«, sagte Bec. »Das eine, das Sie vorher nicht lesen wollten.«
    »Das ist keine gute Idee.«
    »Lesen Sie.«
    O’Donabháin nahm einen Schluck aus der Flasche, fand die Stelle im Buch und fing an.
    Das Rätsel vom kleinen einzelnen Soldaten
    »Das ist der Titel«, sagte er.
    »Weiter.«
    O’Donabháin räusperte sich und las:
    In Eden schwor ich einen Eid:
    Ich dien in deinem Blut.
    Du stachst Mein ab in Fässern Eis
    Und stießt mich in die Flut
    Zur Fehde gegen einen Feind
    So groß und schwer wie ich.
    Ich kämpfte hart und abgefeimt.
    Der Preis: dein Augenlicht.
    Weil ich das Adermeer durchfahr
    Und hüte ritterlich,
    Weil ich das Blut so rein bewahr,
    Ehrst du mit Namen mich.
    Kein kleiner einzelner Soldat
    In dir entsühnt den Krieg,
    Den Mörder, der gemordet ward,
    Den Mörder, der gesiegt.
    Der Mörder, der jetzt kampfesmüd
    Spricht aus der Toten Schmerz,
    Anthropomorphisiert den Parasit,
    Der Kopf nicht hat noch Herz,
    Der sich vermehrt ohne Organ,
    Das Recht kennt, Unrecht flieht
    Und zeigt: Das Menschenherz, sieh an,
    Ist doch kein Parasit.
    Als er fertig war, sagte Bec: »Signieren Sie das Buch.« Colum schrieb: »Für Rebecca Shepherd: Ich werde keinen Film machen. Für Ritchie Shepherd: Ihre Schwester vergibt mir. Colum O’Donabháin.«
    Bec nahm seine Flasche, trank daraus und gab sie zurück. Sie riss die Widmungsseite aus dem Buch und drückte ihm das Buch in die Hand.
    »Ich will Ihre Gedichte nicht«, sagte sie.
    Er nahm das Buch. Als er aufstand, sich umdrehte und fortging, grub sich ihr die Enttäuschung auf seinem Gesicht ein, und sie begriff, dass sie ihn tiefer verletzt hatte, als sie beabsichtigt oder sich zugetraut hatte.
    55
    Ein Gespenst nahm in Ritchies Vorstellung Gestalt an, ein langes, krummbeiniges Scheusal ohne Gesicht. Es würde eines Tages durch sein Gartentor und durch die verschlossene Tür seines Hauses kommen, als ob sie unstofflich wären, ihn von seiner schlafenden Frau wegzerren und von seinem Anwesen hinunter auf die Straße werfen, und dann würde es draußen Wache stehen und ihn daran hindern, je wieder hineinzukommen und sich zurückzuholen, was ihm gehörte, sein Haus, seine Frau und seine Kinder. Ritchie begann, weniger Zeit in London zu verbringen. Er versuchte zurück zu sein, bevor Ruby ins Bett musste. Zweimal überraschte er Karin und Milena damit, dass er die Kinder zur Schule brachte. Er überschüttete sie mit Aufmerksamkeiten und Geschenken. Er sorgte sich, dass sie ihn langweilig fanden, und wenn Dan mit der Ausrede von Hausarbeiten höflich die Tür vor ihm schloss, wenn Ruby plötzlich von ihm zu seiner Mutter huschte, verspürte Ritchie mit einundvierzig wieder dieselbe Wehmut wegen der kurzen, sprunghaften, unsteten Aufmerksamkeit von Kindern wie früher, als er selbst noch ein Kind gewesen war.
    Er begann, Ruby Gitarrespielen beizubringen. Zeitweise legte sie einen frühreifen Ehrgeiz an den Tag und zeigte eine unheimliche Beherrschung des Szenevokabulars. »Ich will nur Akustik-Gigs machen«, sagte sie

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