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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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klitzekleine Sache für dich und Alex mache, nur eine einzige einfache, klitzekleine Freundlichkeit, nur ein klitzekleiner Fick im Dunkeln, und ich halt es nicht aus, Bec, es macht mich nur gierig. Es macht mich nur gierig. Es macht mich nur so unendlich gierig.« Er senkte den Kopf und weinte haltlos.
    »Schon gut«, sagte Bec.
    »Nein«, wimmerte Dougie.
    »Es ist meine Schuld.«
    »Nein.«
    »Ich habe dich missbraucht.«
    »Schon in Ordnung.« Dougie erhob sich und ging in sein Zimmer. Bec folgte ihm und sah, wie er, die Nase hochziehend und ihrem Blick ausweichend, anfing, sich anzuziehen.
    »Geh nicht«, sagte Bec. »Du musst nicht gehen. Ich dachte, es würde dir gefallen. Ich dachte, es ist, was du willst.«
    Dougie war fertig angezogen. Er warf ihr einen einzigen Blick zu und steckte ein paar Sachen in einen Rucksack. Um elf Uhr nachts verließ er das Haus.
    62
    Bec wachte am nächsten Morgen um sieben auf und erinnerte sich, was sie getan hatte. Sie verstand nicht, wie sie so lang und tief hatte schlafen können und mit so schönen Träumen. Es war, als hätte ein anderes Ich die Nacht über in ihr das Gewissen niedergehalten. Doch das Tageslicht beschien es gnadenlos. Sie zog einen Mantel an und ging in den hellen grauen Morgen hinaus. Alle Geräusche klangen wütend – das Dröhnen eines Flugzeugs, das Kreischen eines bremsenden Busses, das Knattern eines Motorrollers – oder schienen ihr hinter ihrem Rücken Vorwürfe zu machen: das Zischen von Fahrradreifen, das atemlose Lachen junger Mädchen, das Klappern von Absätzen. Und dies war nur das Rauschen der Welt, einer Welt, die sich gegen sie verbündet hatte. Sie beobachtete Bec mit einer Strenge, mit der eine Autoritätsperson wartet, wenn sie eine Frage gestellt hat, die man beantworten muss und doch nicht beantworten kann, ohne zu lügen oder sich selbst zu belasten.
    Bec ging die Upper Street entlang, dann die City Road östlich in Richtung Shoreditch. Zwischen der Bec dieses Tages und der Bec der vorausgegangenen Tage gab es einen Bruch. Sie sah Kneipen und Clubs, in denen sie schon gewesen war, und es kam ihr so vor, als könnte sie diese nie wieder als Bec betreten. Sie vergaß, dass sie es um Alex’ willen getan hatte. Sie konnte nichts anderes denken, als dass sie bis dahin gelebt hatte, ohne jemanden zu verraten, und jetzt das Leben einer Verräterin führte.
    In früheren Zeiten musste eine Frau nichts weiter tun, als unehelichen Sex zu haben, und schon war sie von einem giftigen Geheimnis verseucht. Es gab Frauen in London, die immer noch dieses Leben führten. Muslimische Frauen. Rose vielleicht. Für Becs Kaste, die Liberalen, die ganzen postreligiösen Frauen, war die sexuelle Freiheit ein alter Hut. Becs Mutter hatte vor ihrem Vater Männer gehabt. Ihre Großmutter hatte ihre Jungfräulichkeit an einen Soldaten verloren, als die Deutschen London bombardierten. Die sexuelle Freiheit nahm das Gift der Untreue, die Lügen und die Geheimnisse, die Grausamkeit des Verlassenwerdens, und destillierte es in einen einzigen Tropfen, der für zwei oder drei Dosen ausreichte. Früher war es die Sache der ganzen Welt gewesen; jetzt scherte die Welt sich nicht mehr darum. Nur Alex würde sich darum scheren, und Bec und Dougie, und es war immer noch Gift. Die sexuelle Freiheit war ein alter Hut, und sie war keine richtige Freiheit. Sie war nur die Gewöhnung an die Schande.
    Es war, als ob es zwei getrennte Welten gäbe, für die die Bezeichnung Heuchelei zu simpel war: die Welt der Namen und die Welt der Taten, und im Leben ging es weniger um Heimlichkeit als darum, zu verhindern, dass die Taten und ihre Namen miteinander in Berührung kamen. Eine unbenannte Tat war harmlos, und ein Name war bloß ein Name. Nur zusammengenommen waren sie toxisch. Und wenn man seine Tat vor sich selbst benannte? Dann trug man ein giftiges Geheimnis mit sich herum.
    Noch vor Alex hatte sie sich selbst verraten. Sie hatte Dougies Kuss auf sich beruhen lassen, aber vermieden, ihn zu benennen. Und der Name war: Alex’ Bruder ist in mich verliebt. Gestern Nacht hatte sie es wieder getan. Ich habe Alex getäuscht.
    Wenn sie Alex ihre Tat nicht namentlich nannte, würde das Geheimnis sie vergiften und auf ihn übergreifen. Ihre Freundinnen würden ihr raten, es nicht zu sagen. Sie irren sich, dachte sie. Sie glauben, was geschehen ist, ist geschehen und kann nicht ungeschehen gemacht werden, und man muss damit leben, aber sie irren sich, sie irren sich, die gestandene Tat

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