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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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Die Falten gefielen ihm, und er musste nicht reden. Katastrophen sind Freizeit, dachte er. Kein Teil der normalen Zeit.
    »Das ist wie im Pfadfinderlager«, sagte Dougie. Er hatte sich auf die Seite gewälzt, und seine Augen leuchteten jungenhaft. »Hab ich nie leiden können.«
    »Was du da gemacht hast«, sagte Alex, »du hast doch nicht etwa geglaubt, dass du damit auf irgendeine verquere Art deine Schulden bezahlst, oder?«
    Dougie legte sich auf den Rücken und sagte so lange nichts, dass Alex glaubte, er wäre eingeschlafen. Dann sagte er: »He, du Mathegenie. In einem blöden Kartenspiel, das kompliziert aussieht, aber nicht viel anders ist, als wenn du eine Münze wirfst, wie sind da die Chancen, neunmal hintereinander dasselbe Ergebnis zu bekommen?«
    »Fünfhundert zu eins«, sagte Alex.
    »Echt? So schlecht hätte ich gar nicht gedacht. Du an meiner Stelle würdest wissen, wie die Chancen stehen«, sagte Dougie. »Du würdest wissen, dass die Bank immer im Vorteil ist, und wenn du ein Spieler wärst, würdest du wissen, wann du aufhören musst.«
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
    »Lös deinen Gewinn ein, Bruder. Hör auf, solang du die Nase vorn hast.«
    70
    Am Tag, nachdem er die Moral Foundation angerufen und seine Schwester verraten hatte, begann Ritchie herumzuerzählen, er habe wieder zu laufen angefangen, als ob er mal ein großer Läufer gewesen wäre, wo er doch höchstens zweimal die Woche ein paar Kilometer gejoggt war. Seine Erklärung wurde als Euphemismus für die Absicht aufgefasst, ein körperlich und geistig reineres Leben zu führen, weniger zu trinken, härter zu arbeiten und freundlicher zu anderen zu sein, und genau in dem Sinne hatte er es auch gemeint. Doch nachdem er es allgemein verkündet hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als tatsächlich zu laufen. Er stand im Dunkeln auf, vor Karin und den Kindern, zog Laufschuhe, einen Trainingsanzug und eine Signalweste an und trabte in die kalte, drückende Stille der englischen Winterlandschaft hinaus. Er hörte nur das Geräusch seines eigenen Atems, das Schrammen seiner Schuhsohlen über den Kies am Straßenrand und hin und wieder ein unheimliches Rascheln aus den Hecken oder Gurgeln aus einem unsichtbaren Wasserlauf.
    Er lief einen knappen Kilometer, dann ging er, blieb manchmal ganz stehen, um zu verschnaufen. Keuchend stand er da, die Hände in die Hüften gestemmt, und atmete den Geruch verrottenden Laubs ein. Autos kündigten sich durch das ferne Aufleuchten und Verschwinden ihrer Scheinwerfer an Kurven und Anhöhen an, kleinen Monden gleich, die auf den gewundenen Landstraßen auf und ab rollten, und ließen Ritchie genug Zeit, um wieder loszulaufen, sodass sie ihn im Vorbeifahren dabei sahen, wie er sich stark und selbstsicher durch die Dunkelheit bewegte. Als er schließlich das erste Dorf östlich von Petersmere erreichte, war es hell. Alte Leute winkten ihm aus ihren Gärten zu, und er winkte zurück. Er kannte sie nicht, und er fragte sich, ob sie ihn schon mal im Fernsehen gesehen hatten oder ob sie, durch die rätselhaften Anwandlungen der Alten in den frühen Morgenstunden aus dem Bett getrieben, in ihrer Einsamkeit die Sehnsucht nach Gemeinschaft verspürten.
    Ritchie wusste nicht, ob Karin seine wiedergewonnene Zufriedenheit bemerkt hatte, doch er wollte sie im Ungewissen darüber lassen, was ihn trieb. Ihm gefiel nicht, wie viel Zeit sie mit The What verbrachte; ihm gefiel die Dreißig-Städte-Tournee nicht, die sie für den Frühling geplant hatten. Dass ihm die Musik gefiel, die sie machten, widersprach für sein Gefühl nicht der Animosität, die seine Frau mit ihrer Absicht in ihm auslöste, ihr Zuhause für fast zwei Monate zu verlassen. Er merkte nicht, dass mit dem Verrat, den er an seiner Schwester begangen hatte, seine Liebe zu Karin in den argwöhnischen, zweifelnden, rivalisierenden Zustand zurückfiel, der vor der Bedrohung durch Val Oatman geherrscht hatte.
    Es beschäftigte Ritchie, als er am Samstagmorgen heimwärts trabte, dass seine ahnungslose Schwester am nächsten Tag Vals Rache zum Opfer fallen würde. Es tat ihm weh, doch der Schmerz war äußerlich, nicht innerlich wie zuvor. Es war Ritchie so leichtgefallen, sich vom Verrat freizusprechen, dass ihm der Freispruch gar nicht mehr bewusst war. Er empfand es als Zufall, dass er zur Brücke zwischen Vals Rachewunsch und Becs Promiskuität, oder was er inzwischen dafür hielt, geworden war. Er hatte nur ungern einen Anwalt ins Vertrauen

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