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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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gezogen, doch als dieser ihm am Telefon erklärte, er habe die Immunitätsbescheinigung von der Moral Foundation gelesen, und soweit er sagen könne, enthalte sie die wasserdichte Garantie, dass die MF nichts über sein Privatleben veröffentlichen würde, was sie herausgefunden hatte oder in Zukunft herausfinden mochte, fühlte er sich sicher. Louise und Nicole konnten immer noch auspacken, doch seitdem er die beiden das letzte Mal gesehen oder gesprochen hatte, waren anderthalb Jahre vergangen. Ritchie fasste einen Entschluss: Wenn Bec am nächsten Tag die Welt in ihrer ganzen Härte kennenlernte, wenn sie mit der Tatsache Bekanntschaft schloss, dass die Medien einen nur kanonisieren, um einen hinterher umso gnadenloser zu verdammen, würde er ihr helfen. Sie würde ihn in panischer Auflösung anrufen und fragen, was sie tun solle, und er würde sie beruhigen und ihr sagen, dass das nicht das Ende der Welt war, dass die Menschen vergaßen.
    Wieder daheim, war er gerade dabei, sich etwas zusammenzubrutzeln, als eine SMS von Bec kam. Unerklärlicherweise war sie auf dem Friedhof, wo ihr Vater begraben lag: »In Brakesborne. Dads Andenken geschändet. Grässlich. Komm sofort.«
    Ritchie wollte sich nicht am Vorabend ihres Sturzes mit seiner Schwester treffen. Er rief sie an, und sie ging nicht dran. Konnte sie, dachte er, mit einem lädierten Grabstein nicht allein fertig werden? Aber Karin bestand darauf, dass er fuhr.
    Der Friedhof war in Dorset. Zuletzt hatte er ihn mit Karin und den Kindern besucht. Er erinnerte sich, wie Karin sich Ruby am Grab geschnappt, sie hochgehoben und im Laufschritt zu einer Baumreihe getragen hatte, damit die Kleine nicht auf geweihte Erde pinkelte. Er erinnerte sich, wie die nackten Beinchen seiner Tochter hin und her gependelt waren, während Karin von ihm und Dan fortlief, und dass er gedacht hatte, wenn seine Tochter einmal entführt würde, werde es so aussehen, und sich albern vorgekommen war (er bezeichnete sich damals als Agnostiker), weil der Name seines Vaters auf dem Grabstein und das Vorhandensein einer Kiste mit den Gebeinen seines Vaters darunter ihm das Gefühl gaben, von seinem Vater beobachtet zu werden. Mit der Erinnerung kamen weitere Erinnerungen. Karin und er hatten sich vor den Kindern derart erbittert gestritten, dass Dan weggegangen war, um das nicht mit anzuhören, und Karins Weglaufen mit Ruby war, jenseits der körperlichen Notwendigkeit, tatsächlich auch eine Art Entreißen gewesen, ein gegen ihn gerichteter Zornausbruch; und er hatte dort am Grabstein gestanden, allein mit seinem toten Vater, und hinterhergeschaut, wie sein Sohn unter Tränen in der einen Richtung davongestolpert und seine Frau mit seiner Tochter in die andere gelaufen war, und hatte sich verlassen gefühlt, in einem schmalen Ausschnitt der Gegenwart abgekappt von der vor ihm fliehenden Zukunft und der sich verfinsternden Vergangenheit.
    In der Parkbucht vor dem Friedhof stand ein Auto, als Ritchie eintraf. Von der Straße aus stieg das Gelände langsam zur Kirche am anderen Ende an, und als Ritchie durchs Eingangstor ging und die Trennwand der Eiben passierte, sah er die Gräber in unregelmäßigen Stufen aufgereiht, doch Bec sah er nirgends. Sein Telefon bekam kein Netz. Als er den Kiesweg zur Kirche hinaufspazierte, erinnerte er sich, wie heiß es am Tag der Beerdigung gewesen war. Die Marines, die den Sarg trugen, hatten Schweißflecken unter den Achseln gehabt. Er hatte Becs blasses, ernstes, verwirrtes Gesicht betrachtet und das Bedürfnis verspürt, sie und seine Mutter zu beschützen. Er hatte ihre Hand genommen, obwohl er vermutete, dass die Marines das für schwach und sentimental halten würden, und sie hatte ihn erstaunt angeblickt. Ja, dachte er, das hättest du nicht gedacht, was? Seine arme kleine Schwester! Nicht viel älter damals als Ruby jetzt.
    Bec stand zitternd im Schatten des Kirchenportals. Sie beobachtete, wie Ritchies große silberne Karosse neben ihrem kleinen roten Mietwagen hielt, hörte das Knallen der Tür und sah Ritchie in einem schweren schwarzen Mantel mit rotem Schal durch das Tor gehen.
    Ritchie konnte sie nicht sehen. Sie beobachtete, wie er den Weg verließ, langsam über das Gras zum Grab des Vaters trat und dabei den Kopf hin und her drehte. Er blieb vor dem Grabstein stehen, ging in die Hocke und nahm die rechte Hand aus der Tasche, um über die weiße Marmorplatte zu streichen und mit den Fingerspitzen die Köpfe der Blumen zu berühren, die Bec

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