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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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erkunden, und blieb schließlich vor einer Hütte im Slum hängen, wo sie von einer Schar Kinder Pidgin-Ausdrücke lernte und die hässlichen Hühner der Siedlung abwehrte, die sich ihr auf den Kopf zu setzen versuchten. Nach einer Stunde machte Ruth sie ausfindig, zerrte sie ins Auto und erklärte sie für verrückt.
    »Ich bin ja auch verrückt«, versicherte ihr Ruth und stieß zum Beweis ihr quiekendes Lachen aus. »Aber Sie haben dort nichts verloren. Da gibt es Ganoven, die bringen Sie wegen Ihrer Schuhe um.«
    Mit ihrer mikrobiologischen Grundausrüstung, bestehend aus Feldmikroskop, Objektträgern und Lösungen in Pulverform, auf dem Rücken stapfte Bec mit den Nickells und ihren einheimischen Führern kurz darauf die Pfade zu den wolkigen Berggipfeln hinauf. Die erste Nacht in den Bergen verbrachten sie auf einer weiten grünen Wiese, die vom Waldrand sanft zu einem schnell dahineilenden Fluss abfiel. Die Führer schlugen die Zelte dicht beieinander auf: eines für sich, eines für Bec und eines für Franz und Ruth.
    Als die Sonne unterging, nahm Ruth Bec beiseite. »Ich hoffe, Franz und ich werden Sie heute Nacht nicht am Schlafen hindern, wenn wir uns lieben«, sagte sie. »Wenn er in mir drin ist, kann ich mich nicht beherrschen. Ich bin ziemlich laut.«
    Bec schaute über die Wiese, die sich über hundert Meter weit bis zum Waldrand erstreckte. »Wie dumm, dass die Zelte so dicht beieinanderstehen«, sagte sie.
    »Rebecca, wir müssen auf Ihre Sicherheit achten«, sagte Ruth.
    Bec lag in der Nacht schlaflos wach und wartete, doch sie hörte nur Insekten und Vögel. Sie nickte ein. Gegen Mitternacht wurde sie vom Schrei einer Frau geweckt. Sie hörte Ruth kreischen: »Oh! Wahnsinn!« Bec machte die Augen auf und wartete auf mehr. Nach einer Minute wurde die nächtliche Stille von lautem männlichem Schnarchen zerrissen.
    Franz schnarchte in Schüben die ganze Nacht hindurch. Er verstummte gerade lange genug, dass Bec glaubte, er hätte aufgehört, doch kaum war sie an die Schwelle des Schlafs gelangt, sägte er wieder los.
    »Ich hoffe, wir haben Sie nicht wach gehalten«, sagte Ruth am nächsten Morgen.
    »Nach dieser Nacht weiß ich, dass Sie ihn wirklich lieben müssen«, sagte Bec.
    »Es ist immer hart, wenn man allein mit zwei Turteltauben zusammen ist«, sagte Ruth und legte Bec die Hand auf den Arm. »Er ist ein Tier, aber lassen Sie sich ja nicht verlocken.« Sie zwinkerte.
    »Ich werde kalt duschen«, sagte Bec.
    »Ich denke, wir werden gut klarkommen miteinander«, sagte Ruth. »Heute werden wir Ihnen Blut in rauen Mengen beschaffen.«
    Franz verhielt sich, als existierte Bec gar nicht. Er behandelte sie als Dauerkurzzeitbesucherin, immer gerade erst angekommen und immer auf dem Sprung, wieder zu verschwinden, wie eine Paketbotin, mit der es sich nicht lohnte, die kleinste Verbindung einzugehen. Er plante für alle das Programm und den Verlauf ihrer Route, und er überwachte Pete, den wichtigsten Führer und Dolmetscher. Er arbeitete mit ihnen die Liste der Dörfer und Vögel ab, die er vorher zusammengestellt hatte, und Ruth und Bec bestimmten in seinem Gefolge Insekten, nahmen Blutproben und befragten die Einheimischen, so gut sie konnten. Beim Frühstück und Abendessen sprach Franz mit Ruth oder Pete, blickte auf sein Essen und kratzte sich. Wenn Bec etwas sagte, reagierte er nicht. Wenn sie ihm eine Frage stellte oder etwas über die gemeinsame Arbeit sagte, verzog er das Gesicht und sah Ruth an, die dann für ihn antwortete.
    »Sind Ihnen diese merkwürdigen Vögel aufgefallen, die die Leute im Slum halten?«, fragte Bec eines Abends.
    Franz machte große Augen und nickte seiner Frau zu.
    »Wir wollen Sie nicht verletzen, meine Gute«, sagte Ruth zu Bec. »Es gibt keine Vogelart auf diesem Planeten, die Franz nicht kennt. Wir belehren Sie ja auch nicht darüber, wie ein Plasmodium aussieht.«
    Bec hatte den Eindruck, dass jedes Mal, wenn Franz eines seiner langen spätnächtlichen Satellitentelefonate mit den Anwälten, Bewährungshelfern oder Psychotherapeuten seines Sohns in den Staaten führte, er sich so positionierte, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als alles mitzuhören, was er sagte, und zu erfahren, wie geduldig er war und wie besorgt um seinen Sohn. Nacht für Nacht hörte sie die gleichen Geräusche aus dem Nachbarzelt, einen Schrei der Ekstase von Ruth, gefolgt von Franz’ Schnarchen. Einmal verließ sie mitten in der Nacht ihr Zelt, zog das Dutzend Heringe heraus,

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