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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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rächen. So will ich nicht leben.«

VIERTER TEIL

73
    Eines Tages verschwand die Moral Foundation von der Bildfläche. Ihre letzte Tat bestand darin, eine vollständige Liste der Quellen für die Dutzende von Enthüllungen zu veröffentlichen, die sie in ihrer kurzen Existenz gebracht hatte. Es kam heraus, dass viele ihre Freunde und Kollegen verraten hatten. Da Ritchies Verrat nicht zu einer Veröffentlichung geführt hatte, war sein Name nicht auf der Liste. Der von Midge schon. Als die Leute auf der Liste ihre Anwälte konsultierten und fragten, was mit ihrer Immunitätsbescheinigung passiert war, erhielten sie unterschiedliche Antworten. Einige Anwälte meinten, die Bescheinigungen seien geschickt formuliert; sie garantierten die Immunität gegen die Enthüllung früherer Verfehlungen als Gegenleistung für die Denunziation anderer, aber sie garantierten nicht die Immunität gegen die Enthüllung der Denunziationen. Andere fanden, ihre Mandanten könnten klagen. Doch als sie mit der Klageerhebung gegen die Stiftung begannen, stellten sie fest, dass diese sich in Luft aufgelöst hatte. Ihre Büros waren einen Monat zuvor geschlossen und die Mitarbeiter ausgezahlt worden. Ihre Server in Chile waren ein Jahr im Voraus bezahlt, und niemand schien zu wissen, wie man an die Daten herankam. Val verschwand und ließ seine Kinder in der Obhut der Schwester zurück, die sich um sie kümmerte, seit Val seinen Zusammenbruch gehabt und die Zeitung verlassen hatte.
    Was aus Val geworden war, war und blieb ein Rätsel. Mit seinem Verschwinden wurde er zu einer noch mythischeren Gestalt, als er es als graue Eminenz der MF ohnehin schon gewesen war. Jede Meldung, er sei gesehen worden, wurde zerpflückt und in verschiedene Geschichten eingewoben, die in Wahrheit ein und derselbe Mythos waren: von dem Fanatiker, eingesperrt in der immer enger werdenden Zelle seines eigenen Fanatismus. Er hatte sich einen Bart wachsen lassen, war zum Islam konvertiert, lernte Arabisch und lebte in einem Anwesen in Riad, wo er vier Frauen hatte und mit Wahhabiten verkehrte. Er hatte sich einen Bart wachsen lassen, war zum orthodoxen Christentum konvertiert und lebte in einer Klause auf dem Berg Athos. Er hatte sich einen Bart wachsen lassen, hatte sich einer streng calvinistischen Sekte angeschlossen und lebte in einem Croft auf den Hebriden. Er war ein Mormone in Utah, ein Jesuit in Manila, ein Rabbi in Jerusalem. Was den Taubenschlag der Gewissen betraf, deren Hüter er gewesen war, so musste man annehmen, dass die verwaisten Gewissen jetzt schlichtweg eingingen. Trotz der Aufregung, die die letzte Tat der Moral Foundation verursacht hatte, schienen ihre ursprünglichen Besitzer sie nicht wiederhaben zu wollen.
    Für Ritchie bedeutete das Ende der MF eine Verjüngung, eine Belebung der Sinne, die zu lange stumpf und verzwängt gewesen waren. Er hätte Mitleid für Midge empfunden, wenn sein früherer Freund ihn nicht so bitter gekränkt hätte. »Typisch für dich, dass du jemand verpetzt, der es nicht einmal wert ist, öffentlich gedemütigt zu werden«, hatte Midge gesagt.
    Midge wusste so wenig wie sonst jemand, dass Ritchie den Moralhütern seine Schwester ausgeliefert hatte; aus dem Fehlen seines Namens auf der abschließenden Verräterliste der MF hätte man korrekterweise den Schluss ziehen müssen, dass Ritchie nie jemanden verraten hatte, und mit der Behauptung, unter den gemeinsamen Bekannten hätte es für allgemeines Staunen gesorgt, dass Ritchie unbehelligt geblieben war, musste Midge falschliegen, ganz bestimmt.
    Mehr als alles andere freuten Ritchie in dieser merkwürdigen Zeit Rubys Gitarrenstunden. Eines Tages, als Karin gerade unterwegs auf Tournee war, brachte er ihr bei, Sisters of Mercy zu spielen. Sie saßen in Karins Zimmer an einem Ende des Hauses, mit Fenstern an zwei Seiten.
    »Das ist eine hübsche Akkordfolge«, sagte Ritchie. »Sollen wir’s versuchen? D-Dur-Akkord. Genau. Brought me … D ist die Mutter, sie ist sanft, sie ist hell, hält sich fern von den tiefen Saiten. D muss man lieben. Jetzt A-Dur … their comfort … A ist so was wie der Mann von D, absolut gerade, stark, zuverlässig, er hält alles zusammen. Dann haben wir G-Dur … and later … G ist der Sohn, der, auf den sie gewartet haben, er umspannt alle sechs Saiten, ist gleichzeitig tief und hoch, G hat etwas Prachtvolles. D, A, G – mehr brauchst du nicht, mit diesen Akkorden kannst du die Welt verändern. Und was kommt jetzt? Fis-Moll! … they

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