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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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auf, zog eine Schublade heraus, nahm sich den nächsten Kolben und machte die Tür wieder zu. Mit einem Schnaufen pumpte der Apparat den Sauerstoff aus sich heraus. Bec brachte den Kolben zur Haube, sprühte Ethanol über die Handschuhe, öffnete den Kolben, entnahm mit einer Pipette Hühnerblut, gab es in ein Reaktionsgefäß und ließ es in der Zentrifuge rotieren. Sie tupfte Bluttröpfchen auf einen sauberen Glasobjektträger, strich das Blut dünn aus und trocknete es mit einem Föhn, dann fixierte sie den Ausstrich mit Ethanol, mischte eine Giemsa-Lösung an, färbte das Blut damit und ließ es ziehen. Sie zog die Handschuhe aus, warf sie in einen Treteimer, nahm eine sterile Stechhilfe und betrachtete ihre linke Hand. Seit Jahren stach sie sich wöchentlich, und ihre Fingerkuppen waren mit winzigen, vom getrockneten Blut schwarzen Löchlein übersät. Manchmal taten sie etwas weh.
    Sie zog ein anderes Paar Handschuhe an, klemmte die Stechhilfe zwischen die Lippen, nahm einen frischen Objektträger in die Linke und einen in Alkohol getunkten Wattebausch in die Rechte, streifte ihre Schuhe ab, setzte sich mit dem Rücken an einem Schrank auf den Linoleumfußboden und zog ihr linkes Bein an. Sie betupfte ihren kleinen Zeh, stieß mit der Stechhilfe hinein, legte den Objektträger auf die rote Blutperle, stand auf, machte einen Ausstrich und hüpfte zum Hahn, um ein Tropfglas mit Wasser zu füllen. Sie hüpfte zu den Objektträgern zurück, zählte bis zweihundert, spülte den Fleck mit Wasser ab und legte die Objektträger zum Trocknen auf eine Ablage.
    Als sie gehört hatte, dass ihr Vater umgebracht worden war, hatte sie keinen Zweifel gehabt, dass er an der Einwirkung einer außermenschlichen Kraft gestorben war. Sie wusste, dass er Soldat war; man erzählte ihr, er sei gefangen genommen, gefoltert und von jemandem von »der anderen Seite« hingerichtet worden. Für sie klang es nicht so, als könnte die andere Seite zur Menschenwelt gehören. Die andere Seite war der Ort, wo die Schrecken warteten. Als kleines Kind hatte Bec am helllichten Tag unter Ängsten gelitten: dass beispielsweise der Traktorfahrer in seiner Kabine festsaß, weil die um den Pflug kreisenden Krähen ihn angriffen. Dass der Wind, der leise die Vorhänge bewegte, wenn er zum Fenster ihres Hauses in Dorset hereinwehte, immer stärker wurde, bis er die Familie und ihre Möbel an die Wände schmetterte. Dass aus dem Wasserhahn, wenn er abgestellt und die Öffnung frei und trocken und scheinbar leer war, etwas Furchtbares herauszufließen drohte, etwas, das kein Wasser war und keinen menschlichen Namen hatte.
    Für sie war es ein Vorgehen gegen die andere Seite , als sie eines Tages das Prüfungszimmer betrat, in dem sie eine Zulassungskommission davon überzeugte, dass man sie Tropenmedizin studieren lassen musste. »Was wäre, wenn in den armen Ländern ein großes Raubtier wüten würde, Hunderttausende von zwei Meter großen unsichtbaren Ungeheuern, die den Babys die Köpfe abrissen?«, fragte die achtzehnjährige Bec die Kommission anklagend, die Wangen gerötet und die Stirn feucht von der Wärme des schweren Kostüms und der hochgeschlossenen Bluse, die sie trug. »Ich glaube, dagegen hätten wir schon längst was unternommen.«
    »Was wäre, wenn in den reichen Ländern ein Raubtier wüten würde, das alten Leuten die Köpfe abriss?«, sagte einer der Professoren. »Sollten wir dagegen nicht etwas unternehmen?«
    »Alte Leute sind nicht so wichtig«, sagte Bec. »Irgendwann muss jeder mal sterben.«
    Die drei Professoren in der Kommission lachten wissend, als ob Bec in dem Moment eine von ihnen geworden wäre, als ob sie davon ausgingen, dass sie es nicht ernst meinte, dass sie nur auf die Schockwirkung aus war, damit sie ihnen in Erinnerung blieb.
    Bec legte den Objektträger mit dem Hühnerblut auf einen Mikroskoptisch, gab zwei Tropfen Immersionsöl auf den dicken Ausstrich, stellte am Revolver das x-100-Objektiv ein und schaute durch das Binokular auf das indigoblaue Feld des gefärbten Serums. Es war voll von ihrem Parasiten H. gregi, dunkelblaue Pünktchen in den Hühnerblutzellen, die heranwuchsen, um getötet und zu Impfstoff verarbeitet zu werden. Sie zählte die Parasiten und Leukozyten, die sie erkennen konnte, schob den Objektträger ein paar My nach links und zählte wieder. Das machte sie hundertmal.
    Als sie mit der Probe aus dem Inkubator fertig war, wandte sie sich ihrem eigenen Blut zu. Das gehörte nicht zum

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