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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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der Senke aufstiegen, sodass es von den Fenstern des Hauses aussah, als wallten sie aus der Erde auf.
    Ihre Freunde heutzutage waren ausgewanderte Briten. Mit der Zeit, ohne es zu merken, hatte sie sich ihrer Art zu denken angeglichen. Sie hatte vergessen, dass sie nach Spanien gezogen war, weil sie einsam war, sich langweilte und die Sonne mochte. Inzwischen glaubte sie, dass sie Großbritannien nicht aus eigenem Antrieb verlassen hatte, sondern zur Flucht gezwungen worden war, weil es heruntergekommen war und immer mehr verfiel. Immigranten, raffgierige Bürokraten, Sozialisten, arbeitsscheue Schmarotzer, unmoralische Prominente, kulturlose Neureiche, Perverse und Verräter zankten sich über das, was noch übrig war. Ihre Informationsquelle war Vals Zeitung – sie ließ sich die Druckausgabe liefern. Die Entdeckung, dass der Herausgeber ihres Lieblingsblattes um ihre Tochter warb, erfüllte sie mit dunklen Vorahnungen, so als wäre der Astrologe der Zeitung mit einem Horoskop in der Hand vor ihrer Tür erschienen und hätte den Namen ihrer Zweitgeborenen erfragt.
    14
    Der Grenzer, der sich Stephanies Pass ansah, war irgendein Asiate, vermutete sie, und als er sie anlächelte, ihr den Pass zurückgab und einen schönen Abend wünschte, dachte sie traurig daran, wie ihre marokkanische Haushälterin Shada jetzt allein in den Hügeln über Málaga saß, statt dass sie gemeinsam zu Abend aßen. Stephanie schritt forsch durch den Zoll und erblickte Bec und Ritchie am anderen Ende hinter der Absperrung. Als Ritchie sie winken sah, hob er den Kopf über eine imaginäre Menschenmenge. Becs Grinsen war vielleicht das Einzige, was die Frau mit dem Mädchen verband, das Stephanie großgezogen hatte. Mit einem Blick prüfte Stephanie, ob die anderen Abholer schauten. Sie sollten wissen, dass dies ihre Kinder waren.
    Bei Becs Umarmung stieg ihr aus den Kleidern der Tochter ein muffiger Geruch in die Nase. Becs Haare waren fettig, und sie trug eine hässliche Brille mit dicken Gläsern.
    »Du hättest dich für deine Mutter ruhig ein bisschen hübsch machen können«, sagte sie, und als sie zurücktrat, ohne Becs Schultern loszulassen, fühlte sie, wie sich der Körper ihrer Tochter anspannte. Bec machte sich los, nahm die Brille ab, steckte sie in ihre Handtasche und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.
    »Sie wird nicht mit nach Petersmere kommen«, sagte Ritchie.
    »Ich habe vor Afrika noch zu viel zu tun«, sagte Bec. »Ich hatte keine Zeit, mich umzuziehen.«
    »Du musst meinetwegen nicht die Brille absetzen«, sagte Stephanie. »Trag sie nur, wenn du sie brauchst.«
    »Meine Augen sind in Ordnung«, sagte Bec. »Ich habe nur kurz unscharf gesehen, als wir vom Motorway kamen, weiter nichts. Wie war dein Flug?« Sie lächelte, und Stephanie dachte: Oh, ich bin ihr wichtig.
    »Keine Klagen«, sagte Stephanie. Sie nahm Becs Hand und sah Ritchie an. Sie wollte den Blicken der Ankömmlinge und den starrenden Augen der Chauffeure entkommen, die Schilder mit Namen vor dem Bauch hielten.
    »Wir werden im Carter’s Arms essen«, verkündete Ritchie. Er blieb stehen, damit Schwester und Mutter zu ihm aufschließen konnten, und blickte von einem Gesicht zum anderen. »Hinterher fahren wir nach Hause. Alle freuen sich schon auf dich.«
    »Warum kommen Karin und die Kinder nicht mit zum Essen?«
    »Weil wir über Ritchies Film reden müssen«, sagte Bec.
    »Ach ja.«
    »Wir müssen nicht«, sagte Ritchie ernst.
    »Aber deshalb ist sie doch da«, sagte Bec.
    »Sprich nicht als ›sie‹ von mir, Schatz«, sagte Stephanie und übertönte Becs »Entschuldige, Mum« mit der Frage an Ritchie, ob das Carter’s Arms ein Pub sei.
    »Das Essen dort ist hervorragend. Natürlich nicht so gut, wie du es gewohnt bist«, sagte Ritchie.
    »Solange sie nur viele verschiedene Gerichte haben«, sagte Stephanie.
    »Ach, du hast eine neue Ernährungart!«, sagte Bec. Ihr munterer Ton ließ Stephanie hoffen, doch dann dachte sie: Es kümmert sie nicht mehr, was ich tue.
    »Humoralpathologie«, sagte Stephanie so nervös, dass Bec es nicht hörte.
    Ritchie ging mit Stephanies Koffer voraus, und die Frauen folgten. Jeder für sich schritten sie hintereinander aus dem Terminal zum Wagen. In dem dünnen nördlichen Sommerabendlicht fiel Stephanie ringsumher die Blässe auf, blasse Gesichter, blasse Blätter und blasser Beton, und eine kalte Brise griff sie durch die dünne Bluse an. Sie hätte ihren Kindern gern erzählt, dass sie sonst um diese Zeit

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