Liebe und andere Parasiten
ungemütlichen Nachtlagern abgezogen, dass er schon ein wenig im Voraus gestorben war.
»Solange ich den Mörder nicht treffen muss«, sagte sie. »Solange ich den Film nicht sehen muss … wüsste ich nicht …«, sie sah wieder Bec an, »… was ich dagegen haben sollte. Was meinst du?«, fragte sie ihre Tochter.
»Vielleicht würde Dad heute auch Gedichte schreiben, wenn er noch lebte«, sagte Bec. »Ich verstehe nicht, was Schlussstrich bedeuten soll. Worunter wird der gezogen, wenn du das machst? Wenn dieser Mann an der Familie etwas wiedergutmachen will, dann sollte er es auch vor der Familie tun, nicht vor Millionen Fremden im Fernsehen. Das ist keine Wiedergutmachung. Das ist Entertainment.«
»Es ist kein Entertainment«, sagte Ritchie geduldig, »es ist kathartisch.«
»Es ist eine Fernsehsendung, oder? Du nimmst irgendwas aus deinem Leben, was intim und persönlich ist, und machst eine Fernsehsendung daraus. Das ist nicht richtig. Geh ihn besuchen, rede mit ihm, freunde dich mit ihm an, nimm ihm die Beichte ab, was du willst, es ist mir egal, aber du darfst keinen Film daraus machen.«
»Du hast uns nicht gefragt, als du deine Infektion nach Dad benannt hast.«
»Es ist keine Infektion«, sagte Bec. »Haemoproteus gregi ist ein gutartiger Parasit.«
»Sie werden sich in Afrika nicht bei dir bedanken, wenn du die Malaria heilst und alle Kinder dann Brillen mit flaschenglasdicken Gläsern tragen und gegen Bäume laufen.«
Stephanie lachte und hielt sich den Mund zu.
»Wenn du das machst«, sagte Bec, »dann ist das so, als hätte Dad im Leben nichts Wichtigeres gemacht, als zu sterben.«
15
Als Bec sich tags darauf nach der Arbeit zu Hause für Val umzog, wählte sie ein paar von den leichten Freizeitsachen aus, die sie nach Afrika mitnehmen wollte: einen langen Cheesecloth-Rock, ein schwarzes Top mit Spaghettiträgern, eine leichte schwarze Bluse und schwarze Sandalen. Bevor sie ging, öffnete sie das Gefrierfach des Kühlschranks, nahm das Kuvert mit dem Ring heraus und steckte es in ihre Handtasche.
Die Platanen vor dem Restaurant saßen voll mit Staren, und ihr Gezwitscher war in der warmen Abendluft lauter als der Verkehr. Bec wartete auf der Straße, zögerte den Moment hinaus, wo sie aus dem Sonnenschein treten musste. Sie blinzelte zu dem aprikosengelben Himmel empor und lauschte, wie das Flattern und Piepsen des Schwarms alle winkligen Stellen an den ungleichen Fassaden in der Straße in Instrumente verwandelte, die rostigen Dachrinnen und gesprungenen Giebelfelder und die dunklen Ritzen zwischen den Ziegeln. Sie holte tief Atem und ging eine Treppe in einen fensterlosen, klimatisierten Keller hinab.
Val war noch nicht da. Bec setzte sich auf einen Hocker an der Bar und rollte und glättete den weißen Papieruntersetzer, auf den ihr Weinglas gestellt worden war. Ihr Herz klopfte heftig. Der Tresen bestand aus einer schweren schwarzen Steinplatte mit Glimmerpünktchen, kalt an den Händen, und die Wände waren schwarz. Winzige Lichter beleuchteten rote Nischen. Junge Kellner, alle in Schwarz, mit gegelten Haaren und Lackschuhen, stellten ihr ein Schälchen mit Wasabi-Snacks hin und schlugen ihr die hohe Karte mit einem kleinen Speisenangebot auf großformatigem Papier auf. Bec wollte gern, dass Val rasch kam, doch als er ihre Schulter berührte und sie begrüßte, war es zu früh.
Val, klein, dunkel und schlank, mit grauen, leicht vorstehenden Augen, sah aus, als könnte er ein in die Jahre gekommener Stierkämpfer sein. Er war ruhig und wachsam, umsichtig, adrett, maßvoll in seinen Leidenschaften, achtsam in dem, was er aß, geizig mit seiner Zeit, von gerader Haltung. Bec bemerkte, er sehe gut aus, und als sie es aussprach, wurde ihr der Mund trocken und das Blut schoss ihr ins Gesicht und wieder hinaus, als hätte er sie dabei ertappt, wie sie Gift in sein Getränk träufelte.
Val schaute auf Becs Cheesecloth-Rock und die Sandalen, auf den BH -Träger unter dem Träger des Tops. »Hattest du keine Zeit, zu Hause vorbeizufahren und dich umzuziehen?«, fragte er.
Er setzte sich auf den Hocker neben ihr und sah ihre nackte linke Hand.
»Wo ist der Ring?«, fragte er.
Bec öffnete ihre Handtasche, nahm das Kuvert heraus und gab es Val. Es war ein schlichter weißer Briefumschlag, wie er in Schreibwarenhandlungen im Fünfzigerpack verkauft wird. Er war an den Rändern knittrig und feucht, wo das Eis aus dem Gefrierfach auf dem Papier geschmolzen war. Val nahm ihn, klappte ihn auf,
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