Liebe und andere Parasiten
spät.«
»Bec!«, sagte Ritchie und legte den Arm um seine Mutter.
»Du bist stark. Du wirst uns alle überleben.«
»Viele Wissenschaftler haben zu deiner Infektion eine andere Auffassung als du«, sagte Stephanie und schlug die Augen nieder.
»Es ist keine Infektion. Ich stelle mich als Wirt für einen gutartigen Parasiten zur Verfügung, der gegen Malaria schützt.«
»Es gefällt mir nicht, dass du dieses Ding in dir hast, und es gefällt mir nicht, dass du es nach deinem Vater benannt hast. Ich weiß nicht, ob ich besorgt oder empört sein soll.«
Der Wein kam, und Ritchie schlug vor, dass sie auf Becs Erfolg in Afrika anstießen. Er bemühte sich, wenig zu sagen, den Eindruck zu erwecken, dass er zuhörte, und Mutter und Schwester zufrieden zu stimmen. Trotzdem war es wichtig für ihn zu fühlen, dass er die Zügel in der Hand hielt. Bec und Stephanie merkten es gar nicht mehr. Er hatte Autorität akkumuliert, als hätte er von allen Leuten, die für ihn arbeiteten, einen kleinen Teil der Seele gefressen. In ihrem Labor besaß Bec mittlerweile ebenfalls Macht, aber sie hatte sich diese Autorität nicht angezogen. Sie hatte ein Dutzend Leute unter sich, aber es war ihr peinlich, ihnen Anweisungen zu geben oder sie zu tadeln, ja selbst sie zu loben. Die Unterordnung ihrer Mitarbeiter unter ihren Willen war ihr zuwider. Sie spürte, dass diese ihr einen Teil von sich darbrachten, und traute sich nicht, das anzunehmen.
Ritchie wartete, bis er seine Schale Rhabarbercreme vor sich stehen hatte, um ihnen zu erzählen, was er vorhatte, und um ihren Segen zu bitten. Vier Monate zuvor hatte er an Colum O’Donabháin geschrieben, den Henker von Greg Shepherd, seinem und Becs Vater, Stephanies Mann. Er wollte einen Dokumentarfilm über die Tötung drehen und ihn vor der Kamera interviewen. O’Donabháin war seit ein paar Jahren aus dem Gefängnis heraus, lebte in Dublin und schrieb zurück, er habe nichts dagegen. Er hatte als Anführer einer Fraktion marxistischer Republikaner Captain Shepherd ergriffen, als dieser sich gerade mit einem Verräter in ihren Reihen treffen wollte, hatte den Engländer zusammengeschlagen, damit er den Namen des Verräters preisgab, und als dieser ihnen nichts sagte, hatte er ihn erschossen. Bec war damals neun, Ritchie fünfzehn.
Er beobachtete seine Schwester. Vor dem Glanz ihrer Augen und der Röte ihrer Wangen fühlte er sich plump und erdenschwer. Sie tut interessiert, dachte er.
»O’Donabháin ist heute ein alter Mann«, sagte er. »Er hat lange im Gefängnis gesessen. Er lebt mit seiner Mutter in einer Sozialwohnung und schreibt Gedichte. Ich habe die Sache mit Dad nie verwunden, und ein Film über eine Begegnung mit O’Donabháin gäbe uns die Chance, einen Schlussstrich zu ziehen, und ihm, an der Familie etwas wiedergutzumachen.« Er schlug mit der Faust in die Luft wie am Vormittag, als er The What überredet hatte, schlecht zu spielen. »Ich möchte das nicht ohne eure Rückendeckung tun. Sagt mir, was ihr denkt.« Er sah, wie seine Mutter, die mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen hin und her geschaukelt war, zu Bec aufschaute. Die setzte an, den Mund aufzumachen. »Du zuerst, Mum«, sagte Ritchie.
»Oh«, sagte Stephanie, die lieber gehört hätte, was Bec dachte, bevor sie sich selbst festlegte. Ihre Tochter hatte so feste Überzeugungen, was richtiges und falsches Handeln betraf, dass Stephanie sich oft gern nach ihr richtete. Ritchies Behauptung, er habe Gregs Tod nie verwunden, erstaunte sie. Ihrer Erinnerung nach stimmte das nur insofern, als er durch den Tod seines Vaters frühzeitig von einem störrischen, rebellischen Rüpel zu einem warmherzigen, großzügigen Mann geworden war, der für seine Familie sorgte. Es war viel eher Bec gewesen, die mit dem Verlust nicht fertig geworden war, die sich mit der Kante eines heißen Löffels Linien ins Handgelenk brannte, alle Leute anschrie und sich stundenlang bei Regen in die Schlucht verzog.
Stephanie wusste nicht, was es schaden sollte, wenn Ritchie seinen Film machte. Ihr war nach dem ersten Mann noch ein zweiter an einer Herzkrankheit gestorben. Sie vermisste Greg weniger, als dass sie das Gefühl der Ungerechtigkeit hasste, das sein Tod ihr hinterlassen hatte. Fünfundzwanzig Jahre waren vergangen; eine neue Generation war herangewachsen. Lange bevor Greg getötet worden war, hatte sie sich vorgestellt, wie es wäre, wenn er starb, und er war so viel weg gewesen, so vergnügt zu seinen Waffen und seinen
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