Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
Vom Netzwerk:
blickte hinein, schob die Unterlippe vor, schloss das Kuvert, faltete es einmal und steckte es in die Innentasche seines Jacketts. Er stützte einen Ellbogen auf die Theke und verschränkte die Finger. Seine Schultern bebten. Er konnte Bec nicht in die Augen sehen.
    »Ich habe mich schlecht benommen«, sagte Bec. »Es tut mir leid.«
    Val blickte auf und schluckte. Einen Moment lang wirkte er unsicher. Es stand ihm.
    »Als ich dich kennenlernte, waren so viele Leute um dich herum und haben um deine Aufmerksamkeit gebuhlt, und trotzdem sahst du einsam aus«, sagte Bec. »Sie schauten zu dir auf, oder sie beneideten dich, oder sie hatten Angst vor dir, und trotzdem warst du einsam. Du hast an einem Verlust getragen, und ich habe dich dafür bewundert, wie du versucht hast, es zu verbergen. Du warst …«, sie suchte nach einem Wort für einen Mann, der sich vor Kummer verzehrt, aber nicht danach süchtig wird, auch nicht nach dem Mitleid anderer, und der dem Leben treu bleibt, »… würdevoll.«
    »Sprich weiter«, sagte Val. Bec sah, wie seine Unsicherheit überfror. Ihr fiel ein, wie gern er von seinen jugendlichen Kindern erzählte. Er fand mehr über sie zu sagen, als erzählenswert war, so als wollte er der Versuchung widerstehen, sie mit Anekdoten über Berühmtheiten zu beeindrucken, die er kannte. Offenbar hatte Val sie die ganze Zeit auf ein Leben gemeinsamer Verantwortung vorbereitet, auf ein gemeinschaftliches Leben mit den stillen, ausweichenden Kindern, die gerade durch Vals Entschlossenheit, sie nicht zu verwöhnen, verbunden mit der extrem sporadischen, in Schüben kommenden Aufmerksamkeit, in gewisser Weise doch verwöhnt worden waren. Er war von Anfang an davon ausgegangen, dass sie auf die Ehe zusteuerten, und die Kinder waren vielleicht ebenfalls davon ausgegangen und ebendeshalb so still und ausweichend gewesen.
    Ihre Augen glitten auf den Knoten von Vals Krawatte. Es hatte ihr Vergnügen bereitet, seine Krawatten beiseitezuschieben, den zweiten Hemdknopf zu öffnen und mit der Hand über seine Brust zu streichen. Die Erinnerung kam ihr wie eine Geschichte vor, die ihr erzählt worden war, nicht wie etwas, das sie getan hatte.
    Ihr war, als schaffte er es durch schlichtes Anstarren und vollkommene Reglosigkeit, dass sie den Mund nicht mehr aufbekam und kaum atmen konnte. Das Wissen, dass der Tod in Vals Haus eingebrochen war und seine Frau langsam umgebracht hatte und dass er nicht zusammengeklappt war, sondern seine Kinder behütet hatte, hatte ihr Interesse an ihm geweckt und ihr ein Gefühl der Verwandtschaft gegeben. Sie hatte nicht den Eindruck, dass sie dem Tod gut begegnet war, als er ihre Familie früh heimgesucht hatte. Sein Kummer hatte sie gefesselt und seine machtergreifende Art hatte sie gereizt. Es befriedigte ein Bedürfnis nach Unterwerfung. Als sie mehrere Monate zuvor in einem halbdunklen Zimmer vor ihm gekniet und ihn in den Mund genommen hatte, hatte sie gefühlt, wie Macht, Gnade und Erniedrigung sie durchströmten und in einem einzigen köstlichen Strom zusammenflossen.
    Eine Kellnerin kam, um ihnen zu sagen, dass ihr Tisch bereit war.
    »Wir werden ihn nicht brauchen«, sagte Val. »Ich nehme eine Flasche Mineralwasser, still, kein Eis, keine Zitrone.« Er wandte sich Bec zu. Sie sah sich in seinem Gesicht gespiegelt: eine kalte, harte, unbedeutende Frau.
    »Es war nicht recht von dir, den Ring meiner Frau zu nehmen, wenn du mich gar nicht heiraten wolltest«, sagte Val.
    »Es war nicht recht«, sagte Bec dankbar. »Ich hätte Nein sagen sollen. Ich war ein Feigling. Ich wollte dich nicht verletzen. Ich habe nicht nachgedacht.«
    Val zupfte seine Bügelfalte glatt. »Weißt du noch, wie du mir von deinem Vater erzählt hast?«, sagte er. »Wie du mir erzählt hast, dass er starb, obwohl er am Leben geblieben wäre, wenn er irgendeinen Scheiß verraten hätte, und dass seine Kinder mehr als die meisten andern Leute darauf achten müssten, richtig zu handeln? Hier.« Er reichte Bec eine Serviette, und sie wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Jetzt kannst du mich hassen, damit mache ich dir die Sache zu leicht.« Er stand auf, schien weggehen zu wollen, dann setzte er sich wieder und zog seinen Hocker näher zu Bec heran.
    »Du hast sechs Monate lang zu allem Ja gesagt, was ich gefragt habe«, sagte er. »Du hast einen anderen kennengelernt, und du hast nicht den Mumm, es zuzugeben.«
    »Ich habe niemanden kennengelernt. Ich habe vorher Ja gesagt, weil du mich gefragt hast

Weitere Kostenlose Bücher