Liebe und andere Parasiten
eine Hälfte der Flügeltür.
Ritchie trat ein, und die Tür schloss sich hinter ihm. Der Raum war zum größten Teil von einem langen, schmalen Walnusstisch eingenommen, blank poliert und dunkel glänzend. Val saß am hinteren Ende und telefonierte. Zwei Plätze waren dort gedeckt, dazu Wasserflaschen, Gläser, eine Obstschale und ein Korb mit Brötchen. Als Ritchie auf ihn zuging, stand Val auf, stellte den Stuhl mit der freien Hand zurück und machte Anstalten, das Gespräch zu beenden, wobei er Ritchie mit kurzem Augenaufreißen eine Begrüßung signalisierte. Die langen Wände des Zimmers hatten die gleiche dunkle Eichentäfelung wie der Flur. Statt Gemälden der Herausgeber hingen hier gerahmte Zeitungsseiten. Die kurzen Zimmerwände waren überraschenderweise Fenster – vom Boden bis zur Decke klares Glas mit eloxierten Metallrahmen. Durch die Scheibe an Vals Ende des Tisches sah Ritchie die Tower Bridge, die kabbelige Brühe der Themse und die graugelben Wolken, die der böige Septemberwind tief über London trieb.
Val legte das Handy beiseite, gab Ritchie die Hand und sagte, er hoffe, es mache ihm nichts aus, wenn sie zu zweit im Sitzungssaal aßen. Val wirkte so gut gelaunt, gesprächiger und witziger, als Ritchie ihn je erlebt hatte, und so interessiert an dem O’Donabháin-Film, dass Ritchie sich entspannte. Val äußerte sich taktvoll und offen über seine Schwester. Gleich zu Anfang sah er Ritchie mit eingezogenem Kinn an, als hätte er Mühe, etwas zu schlucken, und sagte, Ritchie wisse wahrscheinlich, dass er und Bec sich getrennt hätten; und Ritchie sagte, ja, seine Schwester habe es ihm aus Tansania gemailt, und es tue ihm leid. Val sagte, er hoffe, es gehe Bec gut in Afrika, sie sei eine bemerkenswerte Frau, und was auch immer zwischen ihnen beiden geschehen sei, er werde sich davon nicht sein Mittagessen mit Ritchie Shepherd verderben lassen.
Ein junger Mann in weißem Kellnerkittel und Schürze kam mit einem Rollwagen herein und tranchierte ihnen ein Hühnchen, und eine Kellnerin bot Wein an. Sie wurden allein gelassen. Val senkte den Kopf über seinen Teller und schnitt einen kleinen Streifen Hühnerbrust mit einer sägenden Bewegung durch, die Ritchie affektiert fand.
»Wird das jetzt die letzte Staffel Ihrer Sendung?«, fragte Val, während er aufschaute und sich das Fleisch in den Mund schob.
Ritchie spürte, wie er innerlich hohl wurde, doch er lachte. »Ich habe in den letzten sechzig Sekunden nicht mehr in meine Mails geschaut«, sagte er. »Die Quote lügt nicht. Die wären verrückt, wenn sie sie absetzen würden.«
Val nickte, kaute fertig und nahm einen Schluck Wasser. Ritchie legte Messer und Gabel ab, lehnte sich zurück und beobachtete ihn.
»Ich habe nichts dergleichen gehört«, sagte Val. »Sie werden bestimmt Feinde haben. Oder?«
»Ich habe eine Strategie«, sagte Ritchie. Er griff wieder zum Besteck und machte sich daran, ein Stück knusprige Hühnerhaut um die Zinken der Gabel zu wickeln. »Gib niemandem einen Grund, dich zu hassen.«
»Feinde in der BBC , meine ich. Die meinen könnten, aus kommerziellen Gründen Kinder gegeneinander auszuspielen sei keine gute Verwendung der Rundfunkgebühren.«
»Das ist nicht das Ziel von Teen Makeover «, sagte Ritchie heiter. »Sehen Sie das so?«
»Sie sind denen weit voraus«, sagte Val. »Dieses Filmprojekt, das Sie verfolgen, ist ein kühner Schritt. Vielleicht der Anfang einer neuen Karriere. Sie haben das ja schon einmal gemacht. Den Kurs gewechselt. Spekulationen provoziert. Und die Sache durchgezogen, was man von den meisten anderen nicht behaupten kann.«
Was will er?, fragte sich Ritchie, während er das Lob genoss. Er hatte die Lazygods erst abgeblasen, nachdem drei Alben hintereinander gefloppt waren, aber in seiner Erinnerung sah das anders aus. Seiner Ansicht nach hatte er die Musik sein gelassen, als seine Kreativität ihn in eine andere Richtung zog, obwohl Produzenten und Kritiker ihm zuredeten, weiter Platten zu machen.
»Ihr Vater war ein wahrer britischer Held. Solche sollten wir öfter feiern«, sagte Val.
»Es liegt mir daran, sein Andenken zu ehren«, sagte Ritchie und fragte sich, ob das Mädchen vielleicht mal bald Nachtisch brachte.
»Ehre. Das ist genau das Wort. Dass der Kerl, den er nicht preisgeben wollte, offenbar ein mieses Stück Scheiße war, ändert daran gar nichts. Er war loyal. Nicht kleinzukriegen.«
»Ja«, sagte Ritchie mit einem achtungsvollen Stirnrunzeln für die Leiden
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