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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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seines Vaters. »Es wird mir schwerfallen, O’Donabháin in die Augen zu schauen und mir klarzumachen, was er getan hat, aber –«
    »Ist er Katholik?«, fragte Val.
    »Wer? O’Donabháin?« Ritchie wunderte sich über die merkwürdige Frage. »Ich weiß nicht. Vermutlich.«
    »Einer von diesen katholischen Sozialisten, nehme ich an«, sagte Val lächelnd.
    »Ja«, lachte Ritchie. Er wusste nicht, worauf Val hinauswollte. »Er schreibt Gedichte.«
    »Sie werden ihn doch nicht vor der Kamera welche vorlesen lassen?«
    Auf die Möglichkeit war Ritchie noch gar nicht gekommen. »Natürlich nicht«, sagte er.
    In dem eintretenden Schweigen beobachtete Ritchie, wie Val alle Essensreste auf dem Teller, noch den winzigsten Krümel, mit dem Messer auf die Gabel kratzte und dort zu einem festen Klumpen zusammenpresste, als ob das Gespräch erst dann weitergehen könnte, wenn der Teller sauber war.
    »Katholische marxistische Nationalisten. Was für ein elender Blödsinn«, sagte Val. »Er ist ein Lumpenhund, den man nie wieder auf freien Fuß hätte setzen sollen.« Er blickte auf. Seine Augen waren freundlich und interessiert. »Was ist mit Ihnen, Ritchie? Woran glauben Sie?«
    Ritchie lachte, merkte, dass das keine angemessene Reaktion war, blickte zum Fenster hinaus und sagte: »Fair Play.« Ihm fiel wieder ein, was er an Val Oatman nicht leiden konnte. Man musste immer gewahr sein, dass der Mann einen moralisch volltextete. Wenn man ihn ließ, langweilte er einem die Ohren ab.
    »Wenn es nur einen großen Schiedsrichter am Himmel gäbe, der den Finger hebt, wenn jemand ein Foul begeht, so, oder, Ritchie?«, sagte Val. Er klappte Messer und Gabel zusammen wie eine Schere und ließ sie auf dem Teller liegen, die Spitzen auf Ritchie gerichtet. Er platzierte die Fäuste beiderseits des Tellers. »Vielleicht glauben Sie ja, dass es den gibt.«
    »Ich bin Agnostiker«, sagte Ritchie schroff. »Wäre ein Kaffee zu viel verlangt?«
    »Keineswegs«, sagte Val.
    Er stand auf, ging zur Tür und rief hinaus. Unterdessen ließ Ritchie den Blick über die gerahmten Zeitungsseiten an der Wand gegenüber schweifen. Er sah jetzt, dass an dem von ihm entfernten Ende des Raumes ein Blatt ohne Rahmen hing, einfach ein Ausdruck oder die Fotokopie einer Zeitungsseite, mit Klebstreifen an der Wand befestigt. Es kam ihm bekannt vor, war aber schwer zu erkennen; es sah aus wie ein Feature, das Vals Zeitung zur Zeit der Band über Ritchie und Karin gebracht hatte. Ritchie war durch Ruhm nicht mehr zu überraschen, aber es war unwahrscheinlich, dass Val den Artikel als Willkommensgruß dort hingehängt hatte.
    Val kam mit der Kellnerin zurück. Ritchie sah, dass es keinen Nachtisch gab. Val setzte sich nicht, sondern blickte im Stehen auf Ritchie und das Einschenken des Kaffees. Er hatte die Hände in den Taschen. Er stand im Licht, das zum Fenster hereinkam.
    »Es muss ganz bequem sein als Agnostiker, nehme ich an«, sagte er.
    Ritchie rührte verdrossen seinen Kaffee um, während die Kellnerin ging. Nicht mal einen Keks!
    »Aber wer hält Ihnen den Spiegel vor, wenn Sie etwas Unrechtes tun? Woher wissen Sie überhaupt, was unrecht ist?«
    »Diese Seiten«, sagte Ritchie mit einem Nicken zur Wand. »Nach welchen Kriterien hängen die da?«
    »Kommen Sie, schauen Sie sich die Seiten genauer an«, sagte Val. Ritchie stand auf und folgte Val zu einer Titelgeschichte mit einer Schlagzeile über längst vergangene Olympische Spiele. Ein Sportler stand mit einer Goldmedaille in der Hand freudig vor der Kamera.
    »Jetzt drehen Sie um«, sagte Val.
    Ritchie nahm die gerahmte Seite vorsichtig von der Wand. Sie war so an den Ecken aufgehängt, dass sie ohne Weiteres umgedreht und mit der Rückseite nach vorn wieder angebracht werden konnte. Auf der Rückseite stand ein anderer Artikel. Er handelte von demselben Sportler, aber einige Jahre später. Diesmal enthielt die Schlagzeile statt der Worte »Olympischer Ruhm« die Worte »Betrug« und »Dopingskandal«. Ritchie wollte die zweite Seite wieder zur Wand kehren, doch Val sagte: »Lassen Sie. Schauen Sie sich die nächste an.«
    Die nächste Seite zeigte ein berühmtes Model auf einem roten Teppich, wie sie sich mit einem breiten Lächeln, das ihre Wangenknochen betonte, der Kamera zuwandte und die Arme dabei nicht ganz von dem Hollywoodstar löste, der ihr Lebensgefährte war. Er war in den Hintergrund abgedrängt und sah das Model verlangend an, als begriffe er, dass er mit ihr schlafen und sie

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