Liebe und andere Parasiten
fand Alex, war zwar besser gekleidet als er, aber sah ihm ansonsten ziemlich ähnlich, und sie hatte ihn offensichtlich gerade erst kennengelernt. Eifersüchtiges Bedauern durchzuckte ihn, dass er sie nicht als Erster gesehen hatte.
Da stand Ritchie neben ihm und sagte: »Komm, ich stell dir meine Schwester vor. Sie hat’s auch mit Wissenschaft.« Er führte Alex zu ebenjener Frau, die er angegafft hatte, sagte, sie heiße Bec, und nahm den anderen Mann mit.
Bec lächelte Alex auf eine zutraulich wirkende Art an, und ihm war sofort schwindlig, als wäre er auf die Aussichtsplattform eines hohen Gebäudes getreten und merkte plötzlich, dass die erwartete Absperrung zwischen ihm und der Aussicht nicht da war.
»Brillant«, sagte er.
»Was ist brillant?«, sagte Bec und legte den Kopf schräg.
»Nach meiner Gesprächstheorie musst du, wenn du jemand kennenlernst, einfach sagen, was dir als Erstes in den Kopf kommt, und das zur Diskussion stellen. Wenn die andere Person nicht darüber reden will, ist das ihr Problem.«
»Ich habe, glaube ich, noch nie jemand kennengelernt, der eine Gesprächstheorie hat. Das heißt, dir ist als Erstes ›brillant‹ in den Kopf gekommen?«
»Das Erste, was mir in den Kopf kam, war die Frage, wie sich die Merkmale quantifizieren lassen, die den anderen Leuten hier sagen, dass wir keine Rockstars sind. Und dann hatte ich die Eingebung, ich sollte die andere Person dazu kriegen zu sagen, was sie denkt. Das fand ich eine gute Idee, und das ist mir dann einfach rausgerutscht.«
Bec dachte nach. »Wir könnten Stars sein«, sagte sie. »Ich konnte früher mal Just Can’t Get Enough auf der Blockflöte spielen.«
Alex entnahm ihren Augen die Botschaft, dass er ihre Aufmerksamkeit nicht erschöpfen konnte. Sie ist bereit, alles ernst zu nehmen, dachte er und demonstrierte die Attraktivität seiner Persönlichkeit, indem er eine halbe Stunde lang ohne Unterbrechung auf sie einredete. Er resümierte seine berufliche Laufbahn, hechelte seine Familie durch und teilte ihr seine Ideen über die Evolution der mehrzelligen Organismen mit. Es lief gut, fand er; ihre hochgezogenen Augenbrauen verrieten Interesse, die Art, wie sie die Arme verschränkte, deutete auf Konzentration hin. Sie unterbrach ihn mit der Frage, ob er wisse, wo die Getränke seien. Alex versprach, ihr ein Glas Wein zu holen, und als er von der Theke zurückkam, sah er sie nicht mehr. Sie schien weggeholt worden zu sein.
In den Tagen danach quälte er sich mit der Frage, was er getan hatte, um sie abzuschrecken, und überlegte, wie er sie erreichen konnte. Sie war jung, aber er war nur sieben Jahre älter. Er bekam von Ritchie ihre Postanschrift, weil er ihr angeblich einen Artikel versprochen hatte, und schrieb ihr einen fünfseitigen Brief, in dem er Punkt für Punkt alles schlechtmachte, was er ihr erzählt hatte, soweit er sich noch daran erinnern konnte. »Was meine Familienmitglieder betrifft«, schloss er mit einer, wie er fand, nett bescheidenen Geste, »so sind sie natürlich völlig uninteressant.«
Sie antwortete nicht. Ihm war, als hätte er von der Existenz eines ganz neuen Raumes erfahren – einer zusätzlichen Dimension oder eines neuen Kontinents oder einer von anderen Gesetzen regierten menschlichen Zelle –, den er erforschen musste, doch dieser Raum befand sich unbegreiflicherweise nur in einer einzigen Person, und an die kam er nicht heran. Und sie hatte ihm gegenüber so offen gewirkt. Sie habe kein Telefon, sagte Ritchie; er werde ihr zu Weihnachten ein Handy schenken. Alex vermutete, dass Cambridge ihr eine Mailadresse zugewiesen hatte, und schickte Mails an r.shepherd und b.shepherd und becshepherd und shepherd.r und ein Dutzend andere @cam.ac.uk mit der Frage, ob sie sich mal treffen könnten. Er bekam eine unwirsche Ablehnung von einem Professor Shepherd bei den klassischen Philologen, und eine Woche später schrieb Bec ihm, er sei der erste Mensch, der sie je angemailt hatte. Es tue ihr leid, dass sie seinen Brief nicht beantwortet habe, sie sei sehr beschäftigt, und sie hoffe, es gehe ihm gut.
Was praktisches Liebeswerben anbelangte, schien es Alex, so verlangte die Gesellschaft unterm Strich, dass man etwas Überraschendes tat, das gleichzeitig nicht gänzlich abwegig war. Als Mittel zu Becs Verführung bot sich die Musik an. Er würde ihr zeigen, dass er auf der Klaviatur der Gefühle so gut spielen konnte wie jeder Dichter.
Er fuhr den alten Wagen seiner Mutter, einen kleinen weißen
Weitere Kostenlose Bücher