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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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Engländerin aus der Mittelschicht, war sich nicht sicher, wie sie das aufnehmen sollte: mit Entsetzen über die Brutalität oder mit Befriedigung, weil ihre Söhne einem schmerzhaften eingeborenen Initiationsritus unterzogen wurden wie die Sateré-Mawé im Amazonasgebiet, wo die Jungen, hatte sie gelesen, als Männlichkeitsprobe Handschuhe überziehen mussten, die mit stechenden Ameisen vollsaßen. Doch nur der jüngere und umgänglichere ihrer beiden Söhne, Dougie, bekam den Riemen zu spüren. Alex hätte liebend gern das Brennen des Leders in der Hand gefühlt und die Anerkennung, die damit einherging, aber er war bei den Lehrern zu beliebt, um in den Genuss dieser Grausamkeit zu gelangen. Er wurde von den Mitschülern akzeptiert und besaß eine eigentümliche Intensität, auf die der schüchterne, schwarzromantische Teil der Weiblichkeit flog, aber bei den Schuldiscos blieb er sitzen, und er lernte nie Fußballspielen.
    Die Band, Gorse, bestand nur wenige Monate. Eigentlich hieß sie Gauze, »Mull«, aber als Ritchie Karin kennenlernte, beim Kauf von Gitarrensaiten in der Charing Cross Road, verstand sie ihn falsch und erklärte ihm, wie gern sie die gelben Blüten mochte. Von dem Moment an behauptete Ritchie, die Band habe immer schon Gorse geheißen, »Ginster«, und glaubte selbst daran. Sie spielten in Pubs und auf Unipartys, bis Ritchie das Studium abbrach und mit Karin die Lazygods gründete. Alex, für Ritchies Empfinden von allen Ex-Gorsies der mit dem geringsten Talent zum Musiker, war der Einzige, mit dem er in Kontakt blieb.
    Alex war mit den Stöcken so geschickt wie jeder beidhändige Junge mit toleranten Eltern, einem eigenen Zimmer und überschüssiger Energie, der zum zwölften Geburtstag ein Schlagzeug geschenkt bekommen und Top of the Pops und Whistle Test geguckt hatte. Als er aufs College ging, um Molekulare Zellbiologie zu studieren, hatte er das Schlagzeug mitgenommen, denn er wollte sich nicht auf die Rolle des linkischen Autisten festlegen lassen, nur weil er ein naturwissenschaftliches Fach gewählt hatte. Konnte seine Entscheidung, nach den Atomstrukturen des Lebens zu forschen, indem er menschliche Moleküle zerlegte und wieder zusammensetzte, bei ihm selbst dazu führen, dass er lebensunfähig wurde? Er sah, wie aus seinen Kommilitonen engstirnige Fetischisten winzigster Spezialgebiete wurden, und fragte sich, ob ihm das auch so gehen würde. Er klinkte sich in den Puls einer Rockband ein, um zu beweisen, dass das Schicksal ihm anstelle von Leidenschaften keinen Datensatz eingepflanzt hatte.
    Bei Tag trieb ihn der Affe der Neugier auf seiner Schulter zu Zeitschriften, Gleichungen und Algorithmen. Er lernte. Er überflügelte seine Kommilitonen und Lehrer. In seinem Kopf wurde die menschliche Zelle zu einem Ort, deren inneren Aufbau er durchstreifen konnte wie eine Welt. Bei Nacht, mit der Band, erhob er Anspruch auf ein Rebellenherz und einen Vagabundengeist, die Eigenschaften, mit denen Künstler geboren waren, meinte er. Er drosch auf die Felle ein, bis ihm der Schweiß den Rücken hinunterlief und die Handgelenke schmerzten.
    Auf dem Dutzend kleiner Gigs, die die Gorse spielten, wurde vorne an der Bühne heftig gemosht, während im Hintergrund Alex mit seinem Falkenprofil die Felle und Becken malträtierte und der pink gefärbte Mopp seiner glatten schwarzen Haare vor seiner Stirn im Viervierteltakt wippte, aber er konnte sich nicht so in der Musik verlieren wie Ritchie. Man meinte, dass er sich der Musik völlig hingab, dass das Leben, das sein Herzschlag maß, und das Leben, das durch die Musik entstand, für die Dauer eines Auftritts ein und dasselbe wurden, aber es war nicht so. Er konnte seinen Verstand nicht abstellen. Er konnte nicht einfach sein . Er zweifelte und fürchtete wie jeder Achtzehnjährige, doch er betrachtete seine Zweifel und Ängste, als gehörten sie jemandem, der ihm einerlei war. Die Studentenkneipen brannten lichterloh vor Sturm und Drang , und er brannte mit, aber bei ihm träufelte wie und warum darauf und kühlte die Glut des Scheiterhaufens.
    Er saß einem Missverständnis auf. Die Trennung in ihm war nicht die zwischen Wissenschaftler und Künstler, sondern zwischen konzentriert und zerstreut. Wenn er die ganzen versprengten Lichter seiner Aufmerksamkeit bündelte und sie auf eine Frau richtete, war sie gebannt. Später musste sie feststellen, wie leicht er innerlich abwanderte. Mit den Jahren machten Alex’ Freundinnen, wenn sie mit seinem Arm um

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