Liebe und andere Parasiten
»Horch.«
Sie trat dazu und kauerte sich in sicherem Abstand hin.
»Hörst du?«, sagte Alex. Der Regen trommelte auf das Fell der Snare-Drum.
»Klingt wie Regen auf einem Zelt«, sagte Bec.
»Hörst du das Becken? Geh mal dicht mit dem Ohr ran.«
Bec legte ein Ohr an den Rand des Beckens und lauschte. Die Regentropfen klingelten leise auf dem schimmernden Metall.
Alex nahm einen einzelnen Trommelstock und begann mit dem stumpfen Ende sachte auf die Bass-Drum zu pochen. Bec hörte dem Klappern des Regens auf der Snare-Drum zu, dem Klingeln des Beckens und dem leisen, tiefen Bumm der großen Trommel. Das Wasser lief Alex in Strömen über die Stirn. Becs Mütze war klatschnass. Sie stand auf. Alex erhob sich umgehend.
Bec küsste ihn auf den Mund. Ein warmer, weicher Spalt öffnete und schloss sich wieder. »Gute Nacht«, sagte sie, drehte sich um und ging.
Alex rief ihr nach, sie solle warten. Bec lief die letzten Schritte, trat ins Haus, machte die Tür hinter sich zu. Alex drückte die Klingel, hämmerte mit der Faust an die Tür und rief durch den Briefschlitz ihren Namen. Niemand machte auf.
Bald darauf wurde Alex von einem Forschungslabor in Baltimore angeworben. Als er vier Jahre und mehrere Freundinnen später nach London zurückkam, um am Imperial College zu arbeiten, lebte Bec mit Joel in Sacramento. Als Bec ihrerseits nach London zurückkehrte und Joel sie verließ, war Alex mit Maria zusammengezogen, einer Frau, die im Gesundheitsamt arbeitete. Er war sicher, dass die dunkle und geduldige Maria, die seine obskuren Gedankengänge detektivisch nachverfolgte und es sich zur Aufgabe gemacht hatte, ihn zu erziehen, die richtige Frau für ihn war. Er sah sich mit ihr zusammen alt werden und dachte nur noch selten an Ritchies Schwester. Sein Schlagzeug stand jahrelang in einem unbenutzten Zimmer, anfangs noch einsatzbereit unter einer Staubschicht und dann, als das Zimmer renoviert wurde, in Kisten verstaut.
Alex inserierte das Schlagzeug bei eBay, und der Käufer kam eines Abends in einem Lieferwagen vorbei, um es abzuholen. Es war ein kleiner, eifriger, muskulöser junger Australier mit Pferdeschwanz, der breitbeinig ins Haus stolzierte. Der Umschlag mit dem Geld schaute ihm aus der Tasche seiner Jeans. Ein Ride-Becken schimmerte in Alex’ freier Hand, als er ihn hereinbat. Er schaute über die Schulter des Käufers zum blauen Himmel und den Bilderbuchwolken empor und sagte, es werde wohl nicht regnen, wie es aussah.
»Herrlicher Tag heute, Kumpel«, sagte der Käufer zwinkernd und mit der Zunge schnalzend. »Kann ich mal ’nen Blick drauf werfen?«
Alex führte ihn zu dem aufgebauten Schlagzeug und händigte ihm das Becken aus. Der Käufer stoppelte sich durch ein paar kurze Breaks. Er stand auf, ballte die Faust mit den Stöcken darin und reichte Alex das Geld. »Gekauft«, sagte er.
»Ich würde mich gern noch verabschieden«, sagte Alex und begab sich zum Hocker.
»Aber bitte sehr«, sagte der Käufer.
Fünf Minuten später kam Maria, um ihnen zu sagen, sie sollten mit dem Radau aufhören, und sah Alex schweißgebadet auf die Snare und die Tomtoms eindreschen, als wollte er zu etwas auf der anderen Seite durchbrechen. Der Käufer schrie ihr ins Ohr: »Der Typ ist ja irre!« Alex warf Maria einen schrecklichen Blick zu, und sie schlug die Hände vor den Mund. Er sah sie an, als ob jemand gestorben wäre und sie beide Schuld hätten.
18
Wenn Alex sich Maria zuwandte, verhieß seine Intensität ein ganz außerordentliches Lebensprogramm, das sie bis an ihr Ende kaum abarbeiten konnten, sosehr auch die Welt der Medizin sein Gehirn mit Beschlag belegte. Er widmete sich Maria, wenn es ihm gelegen kam, recht häufig zwischen drei und fünf Uhr morgens oder unmittelbar nach Abschluss eines Projekts auf einem Blitzurlaub von Mittwoch bis Mittwoch. Warum nicht jetzt? Du hast doch gesagt, wir sollten mal was zusammen machen.
Wenn er mit ihr darüber sprach, was ihn interessierte, seine Arbeit zum Beispiel oder die Frage, ob die Menschheit noch in der Entwicklung begriffen war, oder seine Überzeugung, dass er in der Londoner Innenstadt mit dem Fahrrad überall schneller hinkam als mit der U-Bahn, dann leuchteten seine Augen mit dem Feuer eines Propheten. Für die Anliegen anderer Menschen, ihre etwa, konnte er nicht dieselbe Begeisterung aufbringen. In Gesellschaft verbreitete er sich über ihre Vortrefflichkeit, aber sein Lob war allgemeiner Art. Er interessierte sich für Maria nur so lange, wie
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