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Liebe und andere Schmerzen

Liebe und andere Schmerzen

Titel: Liebe und andere Schmerzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hrg. Jannis Plastargias
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hatte stecken lassen, aus ihren French-Nails verzierten Händen fallen. Der Schlüssel fiel zu Boden – Slow Motion – und schlug Wellen in einer Kunstblutpfütze. Der Besucher musste lachen. Sie drehte sich herum. Schneller Schnitt: Der Ritter Blaubart stand hinter ihr.
    »Du hast mich verraten!«, brüllte er mit hervorquellenden Augen. »Dafür musst du sterben!«.
    Sie heulte und schrie.
    Der Besucher war enttäuscht. Im Original des Märchens nahm ihr Ritter Blaubart am siebten Tage den Schlüsselbund ab und entdeckte die Blutspuren am Schlüssel. Denn der Schlüssel war, so die Version nach Charles Perrault, verzaubert. Das Blut würde an ihm kleben bleiben. Weder Wasser noch Seife vermochten die roten Schlieren abzulösen. Es war ein entscheidendes Plotelement, das die Braut zuerst versuchte den Schlüssel reinzuwaschen und es ihr nicht gelang. In dieser Adaption packte Blaubart sie gleich an ihren Haaren und zerrte sie aus der Kammer heraus. Die Kamera war auf ihre Brüste gerichtet. Sie flehte um ihr Leben, Blaubart hatte bereits ein Hackebeil gezückt.
    »Noch eine Stunde gebe ich dir«, zischte er sie an. »Dann werde ich meinen Spaß mit dir haben.«
    Sie heulte, dankte ihm für den Aufschub. Mit wehenden Gewändern eilte sie einen Burgturm herauf und klagte den Vögeln ihr Leid. Der Besucher stand auf, das unrühmliche Ende des Ritters Blaubarts brauchte er sich bei dieser Schmachtvariante nicht ansehen. Und tatsächlich, ihre platinblonden Zwillingsbrüder sahen sie vom Weiten auf der Turmspitze stehen und winken. Dramatische Musik dröhnte aus den Lautsprechern, als die Brüder sich ihre Schwerter umgürteten, die Pferde sattelten und losritten, um ihre geliebte Schwester vor einem grässlichen Tod zu bewahren. Der Film-Blaubart würde natürlich sterben. Der Besucher verließ den Kinosaal. Zurück zur Arbeit. Vielleicht war Mei ja gerade online. Die Chats mit ihr schienen die Zeit bis zu ihrer Ankunft noch zu verlängern. Er konnte es kaum erwarten, sie endlich vor sich zu sehen. Schwermütig von diesem Billigfilm, der sein Leben so pointiert und doch trivial darstellte, trat er aus dem kleinen Kino heraus auf die Straße. Er strich sich über seinen blauen Bart. Für einen Moment stand Ritter Blaubart unschlüssig auf der Straße, spielte mit dem kleinen Schlüssel in seiner Tasche. Es war spät. Er wandte sich zum Gehen und während er seinen Schritt beschleunigte, flüsterte er ganz leise: »Es ist nirgends besser als zu Hause.«
    Das Morden war Ritter Blaubart eine Qual und ein Rausch zugleich. Waren sie neugierig gewesen und sie waren es immer, dann musste er seine Messer zücken und ihr weiches Fleisch aufschneiden. Er konnte nicht anders. Während sie sich in Todesqualen auf dem Boden wanden, wenn er sein steinhartes Glied in ihre offenen Wunden rammte, nur dann verspürte er so etwas wie Frieden und Befriedigung. Hinterher tat es ihm immer leid. Er war völlig hilflos gegenüber dem Einfluss der Kammer. Keine seiner Bräute hatte bisher die Probe bestanden und war trotz seiner aufrichtigen Bitte imstande gewesen der Blutkammer zu wiederstehen. Jede hatte bisher die Kammer betreten. Jede. Manchmal erwischte er sie dabei. Sie hatten alle angesichts des grauenhaften Anblicks den Schlüssel fallen gelassen. Alle hatten sie versucht das Zeichen des Verrats abzuwaschen oder den Schlüssel irgendwo zu verstecken. Es war ein uraltes Muster, dem sie erlagen. Ein Muster, welches auch ihn eisern im Griff hielt. Wenn er dann die gehäuteten Leiber der untreuen Geliebten in seiner Kammer auf die Fleischerhaken spießte, brach er beim Anblick der nackten, rot glänzenden Brüste zusammen, kniete auf dem blutüberströmten Boden, das Gesicht in den Händen bitterlich schluchzend. Was für ein Schicksal! Wieso gelang es keiner zu widerstehen? Wieso hörten sie nicht auf ihn?
    Hin und wiedergelang einer seiner Bräute die Flucht. Gewöhnlich hetzten sie dann einen Mob auf ihn, welcher dann getrieben vom gerechtem Zorn im Regelfall seinen Schädel vom Kopfe trennte. Der Tod war nicht das Ende. Sobald sein Leben durch die Hand tapferer Recken verlosch, wachte er in einem anderen Bett, in einer anderen Epoche, in einem neuen Leben wieder auf. Mal war er ein Maler in den abgelegenen Bergregionen Bulgariens zur Zeiten der Spätrenaissance, dann wieder ein französischer Edelmann mit weitläufigen Ländereien kurz vor der französischen Revolution oder seit Neuestem ein renommierter Konzeptkünstler, der

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