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Liebe und andere Schmerzen

Liebe und andere Schmerzen

Titel: Liebe und andere Schmerzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hrg. Jannis Plastargias
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nach, nahm die Brillen ab und wischte sich übermüdet die Augen. Dann rief er leise dem Sanitäter nach: »In den Aufwachraum? Warum?«
    Der junge, bärtige Sanitäter schaute liebevoll auf Carl Robertson hinab, liebkoste mit traurigen Blicken sein Gesicht, dann drehte er sich schwerfällig um und antwortete leise:
    »Wir brauchen diese Hoffnung, finden sie nicht? Der Aufwachraum suggeriert doch allein schon durch seinen Namen Hoffnung. Ich darf doch, oder? Die anderen sind auch dort.«
    Doktor Stein nickte. Dann wandte er sich seufzend ab und ging mit gesenktem Kopf in sein Büro.

    Carl sah einen klebrigen, wallenden Himmel über sich. Und von Zeit zu Zeit das uralte Gesicht des Kinderwagenmannes. Er kicherte, obwohl er vor Angst schreien und kreischen wollte. Aber er ballte nur die Kinderfäustchen und krähte in den dunklen Himmel über der Schlackenwelt, die sich zunehmend mit Geistern und seltsamen Prozessionen füllte. Und vielen anderen alten Männern, die Kinderwägen durch das verheerte Land schoben.

Albin Spreng
    BLAUBARTS ERLÖSUNG
    C Auf der Leinwand beugte sich der blaubärtige Gigant über die kleine zarte Frau in Weiß. Seine Stimme dröhnte durch den fast leeren Kinosaal:
    »Ich muss fort gehen, meine Liebste. Geschäfte rufen. In sieben Tagen kehre ich zu dir zurück. So lange ich fort bin, bewege dich im Schloss ganz nach deinem Belieben.«
    Mit seiner knolligen Faust hob er einen schweren Schlüsselbund und rasselte mit ihm.
    »All meine Gemächer darfst du betreten, meine Teure. Alle bis auf eines. Die Kammer im Ostflügel darfst du niemals öffnen. Niemals. Ansonsten steht es dir frei, zu gehen, wohin du willst.«
    Die Kamera zoomte auf einen kleinen rostigen Schlüssel, der wie eine Schlange inmitten eines Dickichts von langen schweren Schlüsseln lauerte. Untermalt von melodramatischer Musik schlug die Braut ihre langen Wimpern Richtung Zuschauer und hauchte:
    »Komm bald zurück mein Liebster.«
    Der einzige Besucher im Kinosaal gähnte und kratzte sich am Kinn. Sie hatten die Rolle der Braut mit einem silikonverstärkten Starlet besetzt, deren Namen er schon wieder vergessen hatte. Ein fades Ding, mit einer Tendenz zu dick aufzutragen. Auf der Kinoleinwand rollte die Handlung dieser russischen Edel-Adaption vom Märchen des Ritters Blaubart weiter. Die erste Stunde war eine einzige Orgie von Slow-Motion-Aufnahmen der beiden Liebenden, ihres Kennenlernens, des glorreichen Einzugs der Braut in das Schloss Blaubarts, den wehenden Bewegungen ihres weißen Gewandes, und ihres leisen Verdachts hinsichtlich ihrer verschwunden Vorgängerinnen gewesen. Blaubart war in diesem Film als ein sanftmütiger Riese dargestellt mit wallender Mähne, baumstammartigen Armen und traurigen Augen. Er war ein Held, ein Ritter, ein Gentleman. Mit einem ziemlich misslungenen Bart. Der namengebende blaue Bart des Protagonisten war offensichtlich durch CGI-Techniken so übertrieben gefärbt worden, dass er aus einem bestimmten Winkel ins Türkise stach. Der Besucher grinste.
    Sein eigener Bart hatte eine viel schönere Farbe. Das uralte französische Märchen ging auch in dieser Schmalzfassung seinen Gang. Die Braut wandelte durchs Schloss – noch mehr Slow Motion. Nach drei Tagen ging sie in den Ostflügel. Sah die verbotene Kammer. Ging wieder in ihr Schlafgemach zurück. Träumte von der Kammer, aus der sich schwarze Schatten herauswanden, wachte schreiend auf. Brütete am fünften Tag im Schlossgarten. Und öffnete am Mittag des sechsten Tages das Schloss der verbotenen Kammer mit dem kleinen Rostschlüssel. Hier wurde der Besucher neugierig und reckte seinen Hals. Wie würden sie die Kammer und ihre Schrecken darstellen? Während die Braut in die stockfinstere Kammer eintrat, verstummte die melodramatische Musik. Jetzt war es ganz ruhig. Zuerst sah man nichts. Dann flammte ganz langsam ein blutrotes Licht aus der Finsternis auf. Fenster aus rotem Glas hinter denen scheinbar Fackeln brannten und langsam den Blick auf die Wände der aus Fels gehauen Kammer freigaben. Ganz klar von Edgar Allan Poes »Maske des roten Todes« geklaut.
    Ruckartig zuckte die Kamera herum. Ein schrilles Quietschen von Geigen. Die erste Leiche in Großaufnahme. Das russische Starlet kreischte sich die Seele aus dem Leib. Schnelle Schnitte auf die Leiber von mehreren toten Frauen in verschiedenen Stadien des Verfalls. Die Braut quietschte noch lauter. Sie ließ den Schlüssel, den sie dem Verlauf des Filmes nach eigentlich im Schloss

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