Liebe und andere Zufalle
nicht, meine Liebe«, erwiderte Nanette und musterte ihre Älteste kritisch. »Weißt du, ich bin wirklich stolz auf dich. Was hast du da über deinem Auge? Einen Klecks Make-up?«
»Ach, um Himmels willen.« Min schloss die Tür hinter sich. Sie öffnete den Reißverschluss ihres Rockes, ließ ihn auf den goldenen Teppich fallen und betrachtete sich selbst in dem goldgerahmten Spiegel. »So schlecht siehst du gar nicht aus«, sagte sie zu sich selbst, nicht vollkommen überzeugt. »Du musst einfach einen Mann finden, der vor Gesundheit strotzende Frauen mag.«
Sie nahm den langen, lavendelfarbenen Rock von dem goldenen Bügel, stieg vorsichtig hinein, um die gebügelte Chiffonkrause an der Rückseite nicht zu zerreißen, und zog den Bauch ein, um die Knöpfe zu schließen. Dann fuhr sie in die lavendelfarbene Chiffonbluse und schloss die vielen kleinen Knöpfe, wobei sich der Stoff über ihrer Brust spannte und ihr weißer BH in dem weit geschnittenen Ausschnitt zum Vorschein kam. Sie schüttelte die Ärmel aus, so dass der Chiffon in weiten, doppelten Rüschen über ihre Hände fiel. Damit würde sie beim Hochzeitsempfang sicherlich das Büfett abräumen. Außerdem bauschte sich die Bluse über ihren Hüften in weiteren Rüschen. »Ja, ja«, meinte sie. »Als ob ich an den Hüften noch mehr Polster brauchte.«
Schließlich hob sie das Korsett auf, ein zierliches Etwas aus blauer und lavendelfarbener Moiré-Seide, das mit lavendelfarbenen Bändern zusammengebunden wurde. Als Diana den Stoff sechs Monate zuvor ausgewählt hatte, hatte er Min so sehr gefallen, dass sie sich von der Näherin eine Tagesdecke für ihr Bett daraus hatte nähen lassen. Jetzt betrachtete sie das winzige Korsett und dachte: Ich werde wohl meine Tagesde cke stattdessen tragen müssen. In das hier passe ich nie hinein . Sie holte tief Luft und schnürte sich das Korsett um. Es presste ihre Brüste in schwindelnde Höhen empor, und noch immer klaffte ein Spalt von fast fünf Zentimetern. Die bösen Kohlenhydrate . Mit Groll dachte sie an Cal Morrisey und Emilios Brot. Dann bemühte sie sich, die zusätzliche Schicht Make-up etwas zu verstreichen, ohne dass der blaue Fleck sichtbar wurde, und ging schließlich in den Anproberaum hinüber, um sich ihrer Mutter zu zeigen.
Dort aber fand sie Diana, die auf dem Podest vor dem riesigen, goldgerahmten Spiegel stand, flankiert von ihren beiden entzückenden Brautjungfern, den jungen Frauen, die Liza Schnief und Schlimmer nannte. Aus Dianas tragbarem CD-Spieler drang Musik von den Dixie Chicks.
» Run, run run «, meinte Min zu Diana. »Wie unpassend.«
»Hmmm?«, machte Diana und starrte weiter in den Spiegel. »Nein, Runaway Bride .«
»Ach, richtig«, erwiderte Min und erinnerte sich, dass Diana für ihre Hochzeit Musik aus Filmen mit Julia Roberts gewählt hatte. Na ja, wenigstens hatte sie sich was dabei gedacht.
»Ich fand diesen Film toll«, erklärte Susie. Sie wirkte sehr blond, verbittert, elend und irgendwie schniefend in ihrem grünen Chiffonkorsett; die Verliererin bei der Verteilung der Brautjungfernkleider.
»Ich fand ihn einfach lächerlich«, befand die dunkelhaarige Karen alias Schlimmer und wirkte hochnäsig und überlegen in ihrem blauen Chiffonkorsett.
Min wedelte mit der Hand zu Schlimmer hin. »Hau mal ab da, damit ich meine Schwester sehen kann.«
Schlimmer rückte zur Seite, und Min konnte ihren ersten Blick auf Diana werfen. »Wow.«
Diana wirkte in elfenbeinfarbenem Chiffon und Satin wie eine Märchenprinzessin. Ihr dunkles Haar fiel aus einem kunstvoll nachlässig geschlungenen Knoten in perlenbesetzten Korkenzieherlocken herab und rahmte ihr schmales, blasses Gesicht ein, und ihr schlanker Hals hob sich graziös aus dem weiten Ausschnitt ihres Oberteils. Von der Rückenlinie ihres Dekolletees ergoss sich eine Kaskade von Chiffonrüschen über ihr ebenfalls perlenbesetztes, elfenbeinfarbenes Korsett, das ihre schlanke Taille betonte; weitere Rüschen fielen über ihre Handgelenke und bauschten sich unter ihrem Leibchen hervor, teilten sich und enthüllten einen engen Rock, dessen Seitennaht bis hinab auf den Boden mit Rüschen verziert war. Ein gefältelter Saum reichte bis auf die Spitzen ihrer satinbezogenen, hochhackigen Schuhe. Sie drehte sich auf dem Podest, um in den Spiegel zu blicken, und Min sah, dass am Ende ihrer Wirbelsäule der Chiffon nochmals bauschig gerafft war und in noch mehr Rüschen und Falten überging, bis die Rückseite des Kleides ein
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